Creditpoints an der Uni:Virtueller Unterricht ist ein Witz

In Zeiten der wachsenden Arbeitslosigkeit und der vielen internen Weiterbildungen in Großunternehmen bröckelt die hergebrachte Vorstellung vom Studieren gewaltig. Man vertraut nicht "sich" der Universität an, sondern beauftragt sie mit der Aufstockung des eigenen Humankapitals; das Studium wird zu einem Kapitel unter den Skills, die man bei einem Kick-Off-Event erwähnen wird. Die Universität ließ die Modularisierung des Wissens zu - und damit auch, dass sie selbst zu einem abgekoppelten Modul im Leben der Studenten wird.

Akademische Euphorie

Die akademische Euphorie ist noch in kleinen Seminaren zu Hause, wo direkt mit Dozenten interagiert werden kann - sie sind die Vergewisserung, dass der Durchlauf des Lehrplans überhaupt einen Sinn hat. Gerade in der bürokratisierten Massenuniversität verstärkt sich der übergeordnete, lenkende Status der Professoren. Im Sturm der Digitalisierung von wissenschaftlichen Texten und deren leichterer Zugänglichkeit ist die Führungskraft der Lehrenden vor allem in den ersten Semestern unabdingbar.

Unheimlich wird's, wenn den Studenten nahegelegt wird, einen Kurs von zu Hause aus zu verfolgen, da die Teilnehmerzahl den infrastrukturellen Rahmen sprenge. Solchen Problemen begegnet das ECTS mit seinem Pochen auf schriftliche Leistungsnachweise. Dass akademische Leistungspunkte mehr auf überprüfbaren Ergebnissen denn auf Klassenstunden basieren sollten, hieß es auch im letzten Sommer im Weißen Haus in Washington. Im Rahmen der "American Graduation Initiative" versprach Präsident Obama 500 Millionen Dollar für ein Online-Education-Projekt, wovon nicht die Eliteinstitutionen, sondern die Community Colleges profitieren sollen.

Virtueller Unterricht ist ein Witz

Insbesondere die private Forschungsuniversität Carnegie Mellon in Pennsylvania macht sich mit ihrem Modell der "Hybrid Education 2.0" in dieser Marktlücke breit: In den angebotenen Online-Kursen soll der Stoff mit digitalen Tutoren von zu Hause aus erarbeitet werden. Zu den leibhaftigen Professoren werden die Studenten erst vorgelassen, wenn spezifische Probleme auftauchen. Dass Tests schon ein "effizienteres Lernen" gegenüber dem nichtdigitalisierten Studieren nachgewiesen haben wollen, passt ideal in den Masterplan zur Kostensenkung und Vereinfachung des Zugangs der universitären Bildung; es trifft sich mit Obamas Forderung, bis zum Jahr 2020 die Studentenanzahl um fünf Millionen aufzustocken.

Aus der Sicht der heutigen Studenten ist virtueller Unterricht ein Witz. Woher sollen da noch Begeisterung und Interesse kommen? Standard-Frontalunterricht kennen die Studenten aus ihren Schuljahren; was jedoch akademisches Denken bedeutet, das ist auch mit dem Geruch des Universitätsgebäudes verbunden, mit den Marotten der Professoren und den Reaktionen der Studenten im gemeinsamen Seminargespräch. Tritt jetzt die semivirtuelle Universität in Erscheinung, als Lust- und Sinntöter? Man sollte nicht zu laut darüber lachen, welche ahnungslosen Reformen den Universitäten als nächste abverlangt werden könnten. Vielleicht werden die heutigen reformierten Frischlinge, die das ECTS-Punktesystem durchlaufen, als wäre es schon eine alte Tradition, jene sein, die in zehn Jahren glücklich darüber sind, dass ihre Studienzeit noch vor der Hybrid Education 2.0 stattgefunden hat.

Die Autorin hat an der Universität Luzern Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften studiert.

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