Berufswahl:Die Besserwisser

Lesezeit: 5 min

Arzt, Ingenieur oder Betriebswirt? Wer sich für einen Beruf entscheiden muss, bekommt von allen Seiten Ratschläge. Doch wem kann man eigentlich trauen? Ein bisschen Misstrauen schadet nicht.

Peter Wagner

Der Lehrer

Lehrer wollen Schüler für ihren eigenen Beruf begeistern - zumindest manchmal. (Foto: dpa)

Lehrer sehen sich oft nicht wirklich befugt, dir Tipps für die Zukunft zu geben. Sie haben genug Mühe,ihren Stoff durchzubringen und für Ruhe zu sorgen ("Tim? Tim?? Ein letztes Mal: Timmm!"). Manchmal aber ist es anders. Manchmal entzündet sich im Unterricht ein kleines Feuer namens "ehrliches Interesse". Wenn du dich für ein Fachgebiet begeisterst und der Lehrer noch nicht alles Herzblut aus dem Berufsleben in sein Privatleben umgelenkt hat, entwickelt sich so etwas Wunderbares wie Förderung. Dann gibt dir der Lehrer Tipps, dann verweist er auf Literatur oder bringt gar ein Büchlein aus seiner privaten Bibliothek mit. Solchermaßen lenkt er sanft deinen Weg und betreibt Werbung für sein eigenes Fach. Er macht in diesem Moment ein bisschen PR für seinen Lebensweg. Wie kann man es ihm verdenken? Ist er mit dem Lehramtsstudium nicht zum berufsmäßigen Fan einesbestimmten Fachgebiets geworden?

Der engagierte Lehrer ist deshalb, wie zum Beispiel auch der Pressesprecher eines Unternehmens, ein gefährlicher Ratgeber, ein befangener Informant. Seine Begeisterung für dich und dein Interesse kann dich blenden, kann dir die Sicht auf andere Optionen versperren. Allerdings kommt das ja nicht so oft vor, Klassenstärken und Zeitnot verhindern meistens so viel Engagement. Häufiger ist ein Lehrer damit beschäftigt, Schülern zu verdeutlichen, dass sie besser die Finger von seinem Fach lassen. Aber auch das ist ja ein wichtiger Teil der Berufsberatung: sagen, was nicht geht.

Berufe mit Zukunft
:Karriere, wir kommen

Jeder will einen guten Job - auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Doch wer in Zukunft eine feste Stelle sucht, sollte die richtige Ausbildung haben. Zehn Berufsfelder mit Perspektive.

Die Bedeutung der Eltern im großen Spiel namens "Berufsfindung" wird stets und heftig unterschätzt.Es gibt Mütter und Väter, die mit ihrer Geldbörse die Wahl von Studienort, Fach oder Ausbildungsbetrieb dirigieren: Wenn das Elternhaus knausern muss und der Nachwuchs folgsam ist, wird häufig eine Hochschulstadt nahe der Heimat und ein Studienfach mit guter Jobaussicht gewählt. Hauptsache kosteneffizient. Es gibt Ärzte, die gemeinsam mit ihren Kindern die mit "Dr. med." betitelten Menschen im Familienverbund nachzählen. Wenn das Ergebnis im zweistelligen Bereich liegt, sagt der Vater leise und sehr Mafia-Pate-artig: "Du willst diese Dynastie doch nicht zerstören, oder?"

Eltern wollen für ihr Kind oft das, was sie sich selbst immer wünschten. (Foto: ddp)

In anderen Haushalten wollen Eltern aus ihren Absolventenkindern dasmachen, was sie selbst gern geworden wären.Dann drängen sie auf eine Promotion - "ich hätte sonst was dafür gegeben, so eine Chance zu haben." Andere tun alles dafür, aus ihrem Nachwuchs kleine Ausstellungsstücke zu fertigen, über die man stolz im Bekanntenkreis berichten kann. Bei solchen Eltern sind Berufsentscheidungen gut angesehen, die ihre Kinder zu deutschen Großkonzernen, in die weite Welt oder - Sicherheit ist eben Trumpf - ins Beamtentum führen. Eltern als Berater sind deshalb mit üppiger Vorsicht zu genießen. Sie verfolgen eigene Interessen und sind in Sachen Berufswahl Versicherungsvertretern nicht unähnlich. Die haben auch ihre Provision immer fest im Blick.

Promis und ihr erster Job
:Was soll aus euch werden?

Die Geschichte vom Tellerwäscher kennen wir. Aber auch andere Berufseinstiege sind erfolgversprechend. Wie Prominente noch heute von ihrem ersten Job profitieren.

Bilder.

Brüder und Schwestern, die dir schon ins Abenteuer Leben vorangeschritten sind, sprechen gern in Extremen. Bestimmte Studienfächer seien "superleicht" oder "sauschwer". Bestimmte Ausbildungen könntest du "total vergessen", weil du da "nie im Leben einen Job findest". Sie berichten aus dem Berufsleben gern wie von einem Schlachtfeld, auf dem nur die Unterwürfigen vorankommen. Während deine Geschwister Gleichaltrigen gegenüber von der Herrlichkeit ihrer Arbeit schwärmen, vom Erfolg in ihrem Beruf, von wunderbaren Aufstiegschancen, haben sie vor dir nichts zu verbergen. Du bist kein Konkurrent. Du bist harmlos. Du bist nur die kleine Schwester oder der kleine Bruder. Dir kann man die Wahrheit über den langweiligen Job sagen.

Naja, und deine Geschwister gefallen sich ja auch darin, an dir zum ersten Mal ihre neu erworbene Weisheit zu testen. Das Leben zaubert nämlich immer dann die weichen Abdrücke der Genugtuung in das Gesicht eines Menschen, wenn er anderen von seinen Erfahrungen berichten darf. Hinzu kommt, dass deine Geschwister schon in deiner Kindheit sehr gut darin waren, dir Angst einzujagen. Damals, als ihr noch im gleichen Zimmer geschlafen habt, da haben sie dir Grusel- und Geistergeschichten erzählt, weil sie selbst schon wussten, dass es Grusel und Geister nicht gibt. Es hat sie amüsiert, dich bei dem Gedanken, was da draußen auf der Welt alles auf dich zukommt, ein bisschen schaudern zu sehen. Schon damals hättest du ihnen nicht glauben dürfen.

Ihr werdet den Teufel tun und euch gegenseitig den Traum von der Schauspielschule oder vom Schiffbaustudium ausreden. Wenn ihr plaudert, dann über die ganze Welt und das, was geht. Ihr werft euer Halbwissen in nachmittäglichen Diskussionen zusammen. Die Geschichte vom Freund eines Cousins, der angeblich an zwölf Schauspielschulen vorsprechen musste, um nirgends genommen zu werden. Über den Kumpel von einem Kumpel, der bei der Marine war und seitdem auf einem Kreuzfahrtschiff als zweiter Kapitän oder so unterwegs ist. Ihr überlegt gemeinsam, ob das reizvoll ist, ob es zu weit weg oder genau richtig ist, und ob man selbst auch von Schauspielschulen abgelehnt würde.

Eure Situation lässt euch zusammenrücken. Das ist schön. Blöd ist, dass damit auch der Abschied näherrückt. Wenn die Träume skizziert sind, lehnt ihr euch auf der Couch zurück und überlegt, wie oft ihr euch dann noch sehen werdet. Nicht mehr so oft, stellt ihr fest. Aber es gibt ja Facebook. Und trotzdem seid ihr besorgt. Dann denkt ihr darüber nach, wie es wäre, eine Nummer kleiner zu denken. Vielleicht ein Lehramtsstudium in der nächstnahen Stadt? Und der andere wird Ingenieur? Dann könnte man die gleiche Uni besuchen. Vielleicht sogar in einer WG leben. Und so verstehst du zum ersten Mal, dass das Leben emotionale Grenzen bereithält. Dass man immer wieder den Wunsch nach Vertrautheit mit dem Drang zur Ferne abgleichen muss. Du bist gespannt, wie dieser Abgleich bei dir ausgeht.

Ehe du die heiligen Hallen der Jobfindung betrittst, stellst du dir viel vor. Du denkst bei den Berufsberatern der Arbeitsagentur an Wahrsager, die Lebenslinien auf der Hand anschauen und dann was Gutes vorschlagen. Wie wunderbar! Die Enttäuschung ist zwangsläufig. Sie hat damit zu tun, dass dir bewusst wird, dass auch Berufsberater keine Geheimwaffen haben. Sie machen auch bloß das, was die Tests im Internet machen. Sie fragen dich, wo du in der Schule gut warst, was dir Spaß macht, was du dir vorstellen kannst. Wenn du von Philosophie sprichst, werden sie dich auf elend schlechte Beschäftigungsaussichten hinweisen müssen. Wenn du von deinen Modellfliegern erzählst, werden sie sich freuen und dir ganz viele Ingenieursachen erzählen. Und wenn du gar nichts weißt, empfehlen sie dir den Weg in die Hotellerie oder eine Ausbildung zum Altenpfleger. Oder zur Fachkraft für Lagerlogistik.

Das war es dann mit dem Latein der Berater, denen es leider verwehrt bleibt, im Rahmen von 45 Minuten in die hinteren Winkel deiner Gedanken vorzustoßen, um die ganz verborgenen Leidenschaften zutage zu fördern. Nach dem Gespräch kannst du dann also nach draußen in die Sonne treten und durchatmen und denken: "Na super, niemand weiß was für mich." Du kannst aber auch rausgehen und lächeln und denken: "Was ich als nächstes mache, liegt scheinbar ganz allein bei mir. Zum ersten Mal. Ganz allein. Bei mir." Ein pathetischer Gedanke. Aber schön, oder?

Stellt viele, viele Fragen: der Berufscoach. (Foto: dpa)

250 Euro für einen Jobcoach? Au weh. Das ist ja mal ein Experiment, das dir deine Eltern da bezahlt haben. Du bist skeptisch und vielleicht zu Recht. Was soll ein Jobcoach mehr können als der Herr oder die Dame von der Arbeitsagentur? Nun, ihr habt ein bisschen mehr Zeit. Ihr plaudert über deine Schulzeit, deine Freizeit. Ihr macht nette Spiele, in denen du deine Begabungen aufzeichnen sollst. Ihr kritzelt Blätter mit Blasen voll. Du sollst dich an Fernsehserien erinnern, die du mal gemocht hast, du sollst dich an Vorbilder aus deiner Verwandtschaft erinnern. All das sind interessante Tests, die dich schon irgendwie ein bisschen näher an dich selbst heranbringen.

Ein komisches Gefühl stellt sich ein. Nie, wirklich nie hat dich bisher jemand so sehr über dein Leben und deine Wünsche ausgefragt. So wächst einen Tag lang deine Hoffnung auf die besondere Lösung, auf das unerwartete Ergebnis. Und doch sind es nach sechs Stunden Grübeln nur drei eher grob skizzierte Branchen und ein paar Ausbildungsvorschläge, die du geliefert bekommst. Du bist enttäuscht, irgendwie. War das der Wert dieses Tages?

Du schläfst eine Nacht und wachst auf und verstehst. Es geht vielleicht beim Berufesuchen gar nicht darum, sofort eine Lösung an der Hand zu haben. Es geht um etwas anderes. Es geht um die Erkenntnis, dass man sich ganz viele Fragen stellen muss, um diese eine Frage zu beantworten. Und dafür braucht man nicht unbedingt 250 Euro.

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: