Berufliche Neuorientierung:Muss ich noch 20 Jahre in diesem Job aushalten?

Lesezeit: 4 Min.

  • Wer unzufrieden im Job ist, sollte nicht gleich alle Brücken abbrechen, empfiehlt Karrierecoach Vincent Zeylmans. Sinnvoller ist es, erst einmal im eigenen Unternehmen Veränderungsmöglichkeiten auszuloten.
  • Wichtig bei einer neuen Tätigkeit: Das bereits vorhandene Know-How sollte mitgenommen werden können.
  • Zeylmans rät Jobwechslern sich bei der Bewerbung nicht klein zu machen. Wer 70 Prozent einer Stellenanforderung erfüllt, kann sich bewerben.

Von Johanna Bruckner

Vincent Zeylmans war lange Jahre im Management verschiedener internationaler Konzerne. Heute arbeitet er als selbstständiger Karrierecoach und berät Führungskräfte bei der beruflichen Neuorientierung. Er beantwortet regelmäßig als SZ-Jobcoach Leserfragen zu den Themen Bewerbung bis Arbeitszeugnis.

Herr Zeylmans, wir leben in einer Arbeitswelt, die sich sehr schnell verändert. Gibt es den einen Traumjob, den man sein Leben lang macht, überhaupt noch?

Vincent Zeylmans: Durchaus. Ich kenne Leute, die schon seit früher Kindheit wussten, was sie später mal machen wollen - und dann auch glücklich und erfolgreich in diesem Job geworden sind. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die einer Traumvorstellung nachlaufen und erst in der Praxis merken, dass die Realität ganz anders ist.

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Wie schwer fällt es, sich einzugestehen: "Ich bin im falschen Beruf"?

Das hängt davon ab, wann diese Erkenntnis reift - und welche Alternativen der Arbeitnehmer hat. Junge Menschen, die noch am Anfang ihres Arbeitslebens stehen, empfinden es häufig sogar als Chance, dass sie rechtzeitig auf den Trichter gekommen sind. Schwieriger ist es, wenn das Bewusstsein, im falschen Job zu sein, erst in der Mitte des Lebens einsetzt. Aber gerade in dieser Lebensphase, nach 15 bis 20 Jahren Berufserfahrung, fragen sich viele Arbeitnehmer: War's das jetzt schon? Muss ich die nächsten 20 Jahre so weitermachen?

Sind Menschen in kreativen Berufen vor solchen Sinnkrisen gefeit?

Meiner Erfahrung nach sind es vor allem Menschen mit höherer beruflicher Qualifikation, die sich in ihrem Beruf irgendwann die Sinnfrage stellen. Sie sehen für sich verschiedene Optionen; eine gute Ausbildung, bestimmte kommunikative Fähigkeiten und vielleicht sogar Management-Erfahrung eröffnen Möglichkeiten. Jemand, der eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht hat, ist in seinem Gestaltungsspielraum viel eingeschränkter.

Gutes Stichwort. Mit einer Führungsposition sind gewisse Privilegien verbunden: ein überdurchschnittliches Gehalt, vielleicht ein Firmenwagen. Scheuen Arbeitnehmer deshalb vor einem Berufswechsel zurück - weil sie wieder unten anfangen müssten?

Finanzielle Einbußen und der Verlust von Machtsymbolen spielen vor allem bis 45, 50 eine Rolle, ja. Das ist die Zeit, in der die Familie noch jung ist, das Haus abbezahlt werden muss. Ich beobachte aber, dass das mit zunehmendem Alter kippt. Dann sagen die Leute: "Und jetzt möchte ich etwas machen, das mich erfüllt."

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Dahinter steht ein grundsätzliches Problem der modernen Arbeitswelt: Je höher der Arbeitnehmer auf der Karriereleiter klettert, desto weniger hat seine Arbeit noch mit dem zu tun, womit er ursprünglich einmal angefangen hat. Er arbeitet in der strategischen Entwicklung, plant, organisiert, verwaltet Budget, hat Personalverantwortung. Da kann der Wunsch entstehen, endlich wieder etwas Handfestes zu machen. Aber: Radikale Jobwechsel sind riskant und nur dann empfehlenswert, wenn man ein finanzielles Polster hat, falls es schiefgeht. Ich empfehle, zunächst nach den naheliegenden Möglichkeiten zur Veränderung zu gucken.

Zurück an die Basis?

Nein. Das geht in einigen Branchen schon allein deshalb nicht, weil Führungskräfte dem operativen Geschäft irgendwann entwachsen sind. Nehmen wir zum Beispiel einen Informatiker, der mittlerweile im Projektmanagement tätig ist: Würde der wieder programmieren wollen, müsste er vermutlich noch einmal bei null beginnen, weil das, was vor 15 Jahren galt, inzwischen überholt ist. Außerdem ist es Arbeitgebern schwer vermittelbar, wenn jemand sagt: "Ich bin bereit, meine Führungsposition aufzugeben und weniger zu verdienen, wenn ich dafür das machen kann, was mir Spaß macht."

Warum?

Das sogenannte Downshifting ist in Deutschland unüblich - in Amerika beispielsweise ist das ganz anders. Deutsche Arbeitgeber befürchten, dass der Arbeitnehmer schnell wieder weg ist, wenn er woanders sein altes Gehalt bekommen würde. Außerdem haben Chefs Bedenken, ob sich jemand, der selbst mal Personalverantwortung hatte, so einfach in ein Team einfügt.

Wie geht man also vor, wenn man sich beruflich verändern will?

Der erste Schritt ist eine ehrliche Selbstreflektion. Warum bin ich unzufrieden? Liegt es an einer bestimmten Tätigkeit, die mir keinen Spaß macht? Oder habe ich das Gefühl, eine meiner Fähigkeiten nicht ausspielen zu können? Idealerweise suche ich mir dann ein alternatives Betätigungsfeld, bei dem auch mein erworbenes Know-How zum Tragen kommt.

Und wenn ich nicht nur den Tätigkeitsbereich, sondern auch den Arbeitgeber wechseln will?

Wichtig ist, sich bei der Bewerbung nicht klein zu machen, weil man bisher schwerpunktmäßig etwas anderes gemacht hat. Wenn Sie 70 Prozent einer Stellenausschreibung erfüllen - bewerben Sie sich. Und bitte nicht schreiben: "Auf dem Gebiet habe ich keine Erfahrung, aber ich freue mich auf die neue Herausforderung." Ihr potenzieller neuer Arbeitgeber wird schon selbst merken, wo ihre Stärken und Schwächen sind.

Welche Ängste haben Berufswechsler noch?

Die meisten Arbeitnehmer wissen, dass ein Jobwechsel mit einem Risiko verbunden ist. 30 Prozent aller Arbeitsverträge werden innerhalb der Probezeit wieder aufgelöst. Berufswechsler sind sich außerdem bewusst, dass sie sich in einem neuen Unternehmen neu bewähren müssen; im alten Job hat man seine Leistung schon unter Beweis gestellt, der Druck ist geringer. Tatsächlich ist dann aber selten die fachliche Qualifikation das Problem.

Sondern?

Die Zusammenarbeit mit dem oder den neuen Vorgesetzten klappt nicht. Oder man kann sich nicht mit der Unternehmenskultur anfreunden. Gestern war man noch in einem amerikanischen Konzern, in dem Selbstständigkeit und Eigeninitiative verlangt wurden. Heute ist man bei einem Mittelständler und wird vielleicht vom dominanten Firmenchef an der kurzen Leine gehalten.

Und die neuen Kollegen sind auch nicht so nett wie die alten.

Interessanterweise unterschätzen Arbeitnehmer diesen Aspekt häufig. Geht es im jetzigen Team kollegial-freundschaftlich zu, wird erwartet, dass das auch im neuen Job der Fall ist. Erst vor Ort merkt man dann, dass man etwas Wertvolles verloren hat. Es kommt vor, dass Arbeitnehmer dann wieder beim alten Arbeitgeber anklopfen.

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