Arbeitsmarkt:Niemand will mehr im Hotel arbeiten

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Auslandserfahrung beschleunigt die Karriere in der Hotellerie. Für Mitarbeiter großer Ketten ist der Wechsel in andere Länder einfach. (Foto: imago stock&people)

Für eine Ausbildung im Gastgewerbe entscheiden sich halb so viele junge Leute wie vor zehn Jahren. Die Branche steuert gegen - mit unterschiedlichem Erfolg.

Von Lea Weinmann

Alexandra Stangl prüft die Zahlen im Buchungsprogramm: 227 Gäste werden heute noch anreisen. Sie streicht ihr grau-rotes Kostüm glatt, ein Mann tritt an den Rezeptionstresen, offenbar ist er geschäftlich unterwegs. Stangl begrüßt ihn mit einem Lächeln und in fließendem Englisch. Ihre Stimme ist freundlich und ruhig, nach einer knappen Minute ist das Einchecken erledigt, und der Gast zieht zufrieden ab. Die 18-Jährige ist im dritten Ausbildungsjahr zur Hotelfachfrau, seit zwei Wochen steht sie nun an der Rezeption des Hilton-Hotels am Münchner Flughafen, von 6.30 Uhr bis 15 Uhr, manchmal auch am Wochenende.

Alexandra Stangl ist mit dem Beruf gewissermaßen aufgewachsen. "Zu Hause in Eichenried bei Erding", erzählt sie, hatte ihre Großmutter schon eine Wirtschaft. Als Kind durfte sie ihr bei der Arbeit zusehen. 2016 hat die junge Frau eine duale Ausbildung begonnen und ist damit auf dem Arbeitsmarkt der Branche ein kostbares, weil immer selteneres Gut.

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In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Gastgewerbe mehr als halbiert: Während es 2007 noch 107 000 Azubis gab, sind die Ausbildungsverträge bis 2017 auf nur noch gut 53 000 geschrumpft. Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) konnten im vergangenen Jahr nicht einmal die Hälfte der Hotel- und Gastronomiebetriebe ihre Ausbildungsplätze besetzen.

Das habe mehrere Gründe, von denen nicht alle branchenspezifisch seien, sagt Sandra Warden, Zuständige für Arbeitsmarkt und Ausbildung beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Um das Jahr 2005 herum habe man mehr Auszubildende eingestellt als nötig, sagt Warden: "Wir wollten damit der damaligen Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirken." Der Einbruch der Zahlen sei also ein Stück weit die Rückkehr zum Normalniveau. Außerdem mache sich der demografische Wandel im Rückgang der Schulabgänger deutlich bemerkbar. Zugleich wollen immer mehr Schüler studieren anstatt eine duale Ausbildung zu beginnen. "Das verschärft den Wettbewerb um Auszubildende", sagt Warden. In diesem Wettkampf tue sich die Hotellerie schwerer als andere Branchen: "Eine Büroausbildung ist für viele junge Leute reizvoller als Dienstleistung oder Handwerk."

Hinzu kommt die in der Hotelbranche übliche Arbeit am Abend und Wochenende und der nicht gerade üppige Lohn. Gemäß Tarif liegt das Bruttoeinstiegsgehalt einer ausgebildeten Hotelfachkraft je nach Bundesland zwischen 1 639 und 2 168 Euro, ohne Zulagen. Im Durchschnitt beginnt die Vergütung in der Ausbildung bei 675 Euro im ersten Jahr und steigt auf 869 Euro im dritten Jahr - diese Zahlen hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn errechnet.

"Da muss noch mal jemand ran"

"Man muss den Job halt lieben. Nur wegen des Geldes wird sich niemand dafür entscheiden", meint Attila Solymár und prüft mit scharfem Blick die gläserne Duschwand in Hotelzimmer 5223 des Hilton Munich Airport. Er zeigt mit dem Finger auf zwei, drei kleine Wasserflecken - für den Laien wären sie kaum sichtbar. Außerdem fehlt ein Tütchen Zucker an der Minibar. "Da muss noch mal jemand ran", murmelt er und gibt Anweisungen über sein Telefon durch. Der 30-Jährige ist Abteilungsleiter im Housekeeping. Als "Supervisor" checkt er "schon so 80 Zimmer am Tag". Das Reinigen übernimmt eine externe Firma; Solymár und seine Kollegen kontrollieren nur.

Attila Solymár hat seine Ausbildung erst mit 20 Jahren begonnen - als "Spätzünder", wie er sagt. Er hat erst ein paar Jahre in Wien gearbeitet; die nächsten Karrierestufen waren binnen kurzer Zeit erreicht. "Mit mehr Auslandserfahrung wäre es noch schneller gegangen", meint der Hotelfachmann. Aus der ehemaligen Klasse seiner Berufsschule - etwa 30 Leute waren sie damals - arbeitet gut die Hälfte nicht mehr in der Hotellerie. Warum, das weiß er nicht, aber er ist froh, bei einem großen Arbeitgeber beschäftigt zu sein. Überstunden könne man schnell abfeiern: "Hier läuft es koordinierter. Die bösen Geschichten, die andere erzählen, kenne ich nicht."

Mehr als 40 Prozent aller angehenden Hotelfachkräfte lösen ihren Vertrag vor dem Abschluss ihrer Ausbildung auf. Das steht im aktuellen Berufsbildungsbericht des Bildungsministeriums, der auf Zahlen von 2016 beruht. So eine Auflösung bedeutet nicht immer gleich den Ausbildungsabbruch - auch der Wechsel in einen anderen Betrieb oder eine Umfirmierung können Gründe sein. Nach Erhebungen der Industrie- und Handelskammern handelt es sich bei der Hälfte aller Fälle um wirkliche Abbrecher - das heißt aber immer noch: Jeder Fünfte hört schon in der Lehre auf.

Laut dem Dehoga ist dafür ein "riesiges Sammelsurium" an Gründen verantwortlich. Etwa, dass sich der Auszubildende unter dem Beruf etwas Anderes vorgestellt hat, sagt Verbandsangestellte Warden. Oder dass Lehrling und Betrieb "keinen Draht zueinander" finden. Für den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer der DIHK, Achim Dercks, spielt auch hier wieder der aktuelle Wettbewerb ein Rolle: "Jugendliche lösen leichter einen Vertrag auf, wenn sie über Alternativen verfügen."

Die großen Hotelketten spüren den Personalmangel noch nicht so schmerzlich. Zwar gehen auch bei ihnen die Bewerberzahlen zurück, "aber wir können uns unsere Auszubildenden immer noch aussuchen", sagt Dagmar Mühle, die Hoteldirektorin des Hilton am Flughafen München. Etwa 80 Prozent der Lehrlinge bleiben nach der Ausbildung in ihrem Betrieb, so Mühle.

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Damit das so bleibt, legt sich das Unternehmen mächtig ins Zeug: Auf Jobmessen im In- und Ausland buhlt das Flughafenhotel um Nachwuchs, es ist mit den Schulen in der Region vernetzt. "Beim Personalwesen geht es mittlerweile mehr um Marketing als um die Verwaltung von Akten", sagt Personalchefin Nicole Thielking und lacht. Außerdem lockt Hilton mit zahlreichen Vergünstigungen, mit strukturierten Arbeitszeiten und internen Weiterbildungsmöglichkeiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt für junge Hotelfachkräfte: Sie können unkompliziert Auslandserfahrung sammeln. Direktorin Mühle hat in ihren 40 Berufsjahren unter anderem in Hilton-Hotels in England, Frankreich, Spanien, den USA und Asien gearbeitet - ohne den Arbeitgeber wechseln zu müssen. All das können die mittleren und kleinen Hotelbetriebe, die weiterhin das Gros der Branche ausmachen, kaum leisten. Die Möglichkeiten der häufig familiengeführten Hotels sind beschränkt - finanziell wie personell.

Dabei sind es gerade die kleinen, unbekannten Betriebe auf dem Land, die unter dem Fachkräftemangel am meisten leiden. Sie müssen ihre Öffnungszeiten einschränken, die Speisekarte verkleinern, die Arbeitszeit der Mitarbeiter verlängern. Der Dehoga rät kleinen Unternehmen, sich bei der Suche nach Auszubildenden zusammenzutun oder auf die Hilfe von Verband und Arbeitsagentur zurückzugreifen. Um die Mitarbeiter zu halten, sei es wichtig, "die Freude an der Arbeit zu erhalten", sagt Warden. Wertschätzung, Feedback und ein angenehmes Arbeitsklima seien essenziell. Also eigentlich Dinge, die jeder noch so kleine Betrieb seinen Mitarbeitern geben kann.

Was Verband, Unternehmen und Arbeitsagentur aber auch immer wieder versichern: Es werde besser, die Arbeitgeber strengen sich an und stellen sich um, und die Branche wächst kräftig: In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 36 Prozent.

Auszubildende Alexandra Stangl fühlt sich in ihrem Beruf wohl, sagt sie. An der Münchner Rezeption hat sie noch gut zu tun. Das Lächeln fällt ihr aber nicht schwer, im Gegenteil: "Ich freue mich immer, wenn jemand kommt." Wenn sie von ihrem Beruf erzählt, werde sie oft gefragt, wie das denn so wäre mit den Schichten und der schlechten Bezahlung. "Dabei ist es doch gar nicht so schlimm, wie alle sagen." Nach ihrer Ausbildung will sie gerne mal im Ausland arbeiten, in einem anderen Hilton. Und selbst wenn das nicht funktionieren sollte: An Angeboten wird es ihr europaweit so schnell nicht mangeln.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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