Assessment-Center:Schwätzer bevorzugt

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Krude Rollenspiele und versteckte Kameras: Viele Firmen wählen Mitarbeiter im Assessment-Center aus - doch das befördert vor allem Selbstdarsteller.

Nicola Holzapfel

Es war die Idee mit der Schusswaffe, die dem Kandidaten das Jobangebot brachte. Das Szenario war so: Zu sechst in einer Höhle eingeschlossen, das Wasser steigt, nur einer kann gerettet werden. "Sie haben 30 Minuten Zeit, um zu entscheiden, wer von Ihnen der Glückliche sein soll", erklärte der Testleiter.Als die Gruppe sich schließlich auf den Jüngsten geeinigt hatte, zog der letztlich erfolgreiche Teilnehmer eine imaginäre Pistole und erzwang sich so den Weg in den Rettungskorb. Solche Tatkraft überzeugte den Arbeitgeber.

In unprofessionellen Assessment-Centern zählt häufig nur der oberflächliche Eindruck. Das führt zu falschen Personalentscheidungen. (Foto: Foto: iStock)

Die Qualität sinkt

Drei von vier Unternehmen setzen Studien zufolge auf Assessment-Center. Mit diesen aufwendigen Verfahren sollen die besten Bewerber für einen neuen Job oder eine Beförderung zuverlässig erkannt werden. Doch mit der steigenden Popularität des Verfahrens sinkt auch die Qualität der Ergebnisse. Und wenn Jobbewerber von ihren Erfahrungen mit Assessment-Centern berichten, sind oft seltsame Geschichten zu hören - von kruden Rollenspielen, versteckten Kameras oder Fragen nach Duschgewohnheiten.

"Assessment Center werden mehr und mehr von Nicht-Fachleuten durchgeführt werden, die zu wenig von Diagnostik verstehen", sagt der Psychologe Heinz Schuler von der Universität Hohenheim. Deren Fehler sei es, der eigenen Beobachtung zu vertrauen statt wissenschaftlicher Arbeit. Als Schuler kürzlich gebeten wurde, das Assessment-Center eines großen Unternehmens zu evaluieren, befand er, dass jede zweite Entscheidung falsch war: "Es waren nur oberflächliche Eindrücke von Personen entstanden. Die Validität war gleich null."

Geradezu lachhaft

Für geradezu lachhaft halten Wissenschaftler viele Persönlichkeitstests, die auf dem Markt angeboten werden. Viele von ihnen basierten noch auf der bald 100 Jahre alten Typentheorie von C.G. Jung, sagt Martin Kersting, Mitglied des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. In seriösen Tests werden hingegen die fünf Persönlichkeitsmerkmale gemessen, die sich in der wissenschaftlichen Psychologie als die "Big Five" etabliert haben: emotionale Stabilität, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, soziale Verträglichkeit und Extraversion.

Für ein Unternehmen auf Personalsuche ist es daher schwer, ein geeignetes Assessment-Center zu finden. Viele unseriöse Anbieter betrieben Etikettenschwindel, warnt Christof Obermann, Mitglied im Arbeitskreis Assessment Center (AKAC) und Wirtschaftspsychologe an der Rheinischen Fachhochschule Köln. "Da werden zehn Hochschulabsolventen an einem Tag zusammengesteckt und lediglich eine Gruppendiskussion und eine Präsentation gemacht. Das ist kein Assessment Center."

"Eingestellt wird der, den ich Ihnen sage"

Wenig hilfreich sei es auch, wenn Führungskräfte des Unternehmens selbst im Assessment-Center mit dabei sind. Der Personalpsychologe Rüdiger Hossiep von der Universität Bochum und Experte für Eignungsdiagnostik hat häufig erlebt, wie Manager alle Einwände professioneller Assessoren ignorierten und die Teilnehmer durchsetzten, von denen sie überzeugt waren. Besonders in Erinnerung ist ihm die Aussage: "Sie können hier veranstalten, was Sie wollen, aber eingestellt wird der, den ich Ihnen sage."

Dabei gibt es seit 2002 sogar eine DIN-Norm für die Eignungsdiagnostik, denn eigentlich ist gut erforscht, wie ein ideales Assessment-Center aussehen sollte. Zum Verfahren gehören Gruppendiskussionen, Übungen, in denen Arbeitssituationen simuliert werden, Rollenspiele, Präsentationen und Fallstudien sowie verschiedene Tests. Dazu kommen Einzelinterviews mit den Bewerbern und die Analyse biographischer Daten. "Keines dieser Instrumente reicht allein aus - die Gesamtschau ist entscheidend", betont Hossiep. Bei Intelligenztests geht es um die kognitive Kompetenz, beim Abarbeiten eines Postkorbs um Zeitmanagement und schnelles Entscheiden.

Gefährliche Stereotype

Vor allem aber müssen die Prüfer - die sogenannten Assessoren - gut geschult sein. "Ein typischer Fehler ist, dass Beobachter auf Stereotype hereinfallen", sagt Hossiep. Sie halten etwa jemanden für kontaktfreudig, nur weil er Mannschaftssport macht. Eine voreilige Schlussfolgerung, denn genauso gut könnte es sein, dass jemand Fußball spielt, weil er zu schüchtern ist, um jenseits des Spielfeldes jemanden kennenzulernen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worauf in Assessment-Centern wirklich geachtet wird.

Zudem beobachten Assessoren häufig Dinge, die für die aktuelle Aufgabe nicht relevant sind. Sollen sie bei einer Übung etwa die Kooperationsfähigkeit der Kandidaten einschätzen, bewerten sie dennoch andere Eigenschaften, die sie für relevant halten: Sie bilden sich einfach einen Gesamteindruck.

Die immergleichen Skills

Sinnvoller wäre es, wenn man vor der Einladung ins Testzentrum ein Anforderungsprofil festlegt, in dem formuliert ist, welche Eigenschaften und Fähigkeiten ein Bewerber für eine Position mitbringen muss. Obermann vom AKAC schätzt, dass 50 Prozent der Qualität eines Auswahlverfahrens an der Frage hängt: "Wen will ich eigentlich? Will ich einen Vertriebsleiter, der sehr detailgenau arbeitet und über eine hohen Eigenkontrolle verfügt oder einen Tür-Aufreißer?" Viele Arbeitgeber nehmen sich wenig Zeit, diesen Punkt zu klären. Stattdessen würden die immergleichen Skills erwartet:Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungskraft und Analysefähigkeit. Das ist zu ungenau.

Hinzu komme, dass die Fähigkeit zur Selbstdarstellung häufig übermäßig honoriert werde. "Wenn das Verhalten nur an der Oberfläche beobachtet wird, schneidet der Typ freundlicher anpassungsbereiter Vielredner am besten ab", sagt Hossiep. Allerdings halten Eignungsdiagnostiker bis zu einem gewissen Maß die Anpassung an die Erwartungen der Beobachter für angemessen. "In vielen Berufen muss man sich ein Stück weit verkaufen können, um zu überzeugen. Deshalb ist es nicht automatisch ein Fehler, wenn die AC-Kommission auch auf die Fähigkeit zum Selbstmarketing achtet", sagt Martin Kersting.

Geblendet vom Selbstmarketing

Wenn sich die Assessoren jedoch vom Selbstmarketing blenden lassen, ziehen zurückhaltendere Bewerber den Kürzeren und das birgt die Gefahr, dass am Ende die falschen ausgewählt werden. "Zum einen, weil eigentlich gute Kandidaten zurückgewiesen werden, weil sie sich nicht so schnell gut darstellen können. Oder weil Kandidaten eingestellt werden, die eigentlich schlecht sind, aber über prima Selbstdarstellungsfähigkeit verfügen", sagt Christof Obermann.

Nach einer Studie der internationalen Personalberatung DDI geht deshalb durchschnittlich jede fünfte Stellenbesetzung daneben - und das ist teuer: In einer Firma mit 10.000 Mitarbeiten verursacht jeder Prozentpunkt, um den die Mitarbeiterfluktuation steigt, Kosten in Höhe von rund 270.000 Euro. Doch in der Praxis erfahren die Verantwortlichen oft nicht, ob eine Personalentscheidung falsch war. Dafür müssten sie die Karrieren der erfolgreichen Kandidaten verfolgen. Und womöglich arbeitet der neue Mitarbeiter gut, aber ein abgelehnter Kandidat wäre besser gewesen. Selten hat selbst eine falsche Personalauswahl so drastische Folgen, dass sie den Verantwortlichen in mahnender Erinnerung bleibt und sie Konsequenzen ziehen. Mit der Finanzkrise könnte sich das verändert haben.

Die richtigen Menschen auf den richtigen Posten

Plötzlich fragten sich viele Menschen, ob bei den Banken die richtigen Mitarbeiter auf den wichtigen Positionen saßen. "Im Assessment Center wird zu wenig auf Werte geachtet. Wofür steht jemand? Wie reagiert er in korrumpierenden Situationen?", sagt Christof Obermann. Heinz Schuler weist darauf hin, dass gerade der Typ, der in Assessment-Centern glänzt, häufig eine negative Seite hat: "Es werden narzisstische Persönlichkeiten ausgesucht, Menschen mit hohem Selbstvertrauen, die andere für sich einnehmen, geschliffen formulieren können und eine hohe Risikobereitschaft haben, die weit über ihre eigenen Fähigkeiten und die ihrer Umgebung hinausreicht."

Genau deshalb wäre es auch falsch, etwa mithilfe von Ratgebern seine Selbstdarstellung künstlich zu trainieren, damit man in den Standardsituationen eines Assessment-Centers glänzt. In guten Centern werden Teilnehmer, die sich verstellen, auffliegen. In schlechten Verfahren kommen sie vielleicht durch, sitzen aber dann möglicherweise auf einer Stelle, für die sie nicht geeignet sind. Es kann also durchaus im Interesse eines Bewerbers sein, im Assessment-Center durchzufallen.

© SZ vom 03.02.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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