Mainz:Flächendeckende Verbesserung am Arbeitsmarkt ist zu Ende

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Auf dem Schild der Agentur für Arbeit spiegelt sich die Sonne. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Kein himmelhoch jauchzend mehr, aber auch kein zu Tode betrübt - so lässt sich der Blick der Arbeitsagentur auf den rheinland-pfälzischen Arbeitsmarkt 2020 grob...

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Mainz (dpa/lrs) - Kein himmelhoch jauchzend mehr, aber auch kein zu Tode betrübt - so lässt sich der Blick der Arbeitsagentur auf den rheinland-pfälzischen Arbeitsmarkt 2020 grob beschreiben. Die Regionaldirektion erwartet zwar, dass sich die auch hierzulande stark eingebremste Konjunktur bemerkbar machen wird - so wie zuletzt schon. Eine krisenhafte Entwicklung sei aber nicht absehbar, sagte die Chefin der Regionaldirektion, Heidrun Schulz, am Mittwoch in Mainz.

Die durchschnittliche Arbeitslosenquote für 2019 in Rheinland-Pfalz gab die Arbeitsagentur mit 4,3 Prozent an - 0,1 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Allerdings gab es starke regionale Unterschiede: So hatten die Kreise Bitburg-Prüm (2,4 Prozent), Trier-Saarburg (2,6 Prozent), der Westerwaldkreis (2,7 Prozent) sowie der Rhein-Lahn-Kreis (2,8 Prozent) die niedrigste Arbeitslosigkeit. Am höchsten war sie der Agentur zufolge in Pirmasens mit 10,7 Prozent.

Die Zahl der Jobsuchenden sei 2019 voraussichtlich insgesamt um 1,1 Prozent niedriger gewesen als 2018, bilanzierte Schulz. Seit August lägen die Zahlen aber über den Vergleichswerten aus dem Vorjahr. „Das wird sich nicht ändern in den nächsten Monaten.“ Trotz der 2019 insgesamt leicht gesunkenen Arbeitslosigkeit sei sie bei 50-Jährigen, Schwerbehinderten und Menschen mit ausländischem Pass leicht gestiegen. Letztere seien häufig in einfacheren Jobs gewesen, hier mache sich die konjunkturelle Entwicklung am ehesten bemerkbar.

Ähnlich beurteilte Gerhard Braun, Präsident der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU), die Lage. In den vergangenen Jahren habe es einen enormen Anstieg bei der Beschäftigung gegeben. „Das wird so nicht weitergehen.“ Die Industrie sei in einer Rezession, das treffe Rheinland-Pfalz deutlich.

Braun rechnet mit dem Abbau zunächst von Zeitarbeitsjobs hierzulande und mit mehr Kurzarbeit vor allem bei Automobilherstellern und Zulieferern. Dort gebe es derzeit einen Personalüberhang. Wie schon in der vergangenen Krise vor zehn Jahren dürften nach Einschätzung Brauns Firmen aber versuchen, ihr Personal möglichst zu halten angesichts des Fachkräftemangels. „Kurzarbeit hilft aber nur bei konjunktureller Unterbeschäftigung, nicht bei struktureller.“

Die Arbeitsagentur verzeichnete im zu Ende gehenden Jahr fast 13 Prozent weniger Stellenzugänge. „Das ist schon ein Zeichen dafür, dass die Bewegung langsamer wird“, erklärte Schulz. Es gebe mehr Beratungsanfragen zu Kurzarbeit, auch werde die zunehmend von Unternehmen in Erwägung gezogen. Vergleichsweise stark sei das in der von der Automobilbranche und Industrie geprägten West- und Südpfalz der Fall. „Die flächendeckende sprunghafte Verbesserung am Arbeitsmarkt ist zu Ende“, sagte Schulz.

Die Chefin der Regionaldirektion sagte, auch 2019 habe die Jugendarbeitslosigkeit unter der Arbeitslosigkeit der Gesamtbevölkerung gelegen. Das sei vor allem auf das System der dualen Ausbildung zurückzuführen und hierzulande fast schon selbstverständlich. In den meisten anderen europäischen Ländern sei die Arbeitslosigkeit junger Menschen größer als insgesamt.

Am Ausbildungsmarkt gab es in Rheinland-Pfalz das dritte Jahr hintereinander mehr Stellen als Bewerber. So standen zum Ende des Berufsberatungsjahres 2018/19 am 30. September knapp 28 000 Azubistellen rund 25 100 Bewerber gegenüber. Rund 1100 Jugendliche konnten ihre Suche nach einem Ausbildungsplatz nicht erfolgreich abschließen, 2400 Azubistellen waren Ende September noch zu besetzen.

DGB-Landeschef Dietmar Muscheid bemängelte: „Während viele Branchen über Nachwuchssorgen klagen, ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Rheinland-Pfalz auf einem historischen Tiefststand seit Anfang der 90er Jahre.“ Besorgniserregend sei auch, dass zahlreiche Bewerber keine Ausbildungsstelle fänden. „Wer nur über die Berufsreife (Hauptschulabschluss) verfügt oder nicht-deutscher Staatsbürger ist, gehört zu oft zu den Verlierern dieser „Bestenauslese“.

Sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren im Land zum Stichtag 31. März 2019 unter dem Strich knapp 1,43 Millionen Menschen - knapp 25 000 mehr als ein Jahr zuvor - etwa 9000 mit deutschem und rund 16 000 mit ausländischem Pass, darunter sowohl EU-Ausländer als auch Menschen aus den Asylherkunftsländern, wie Schulz berichtete.

Überdurchschnittlich nach unten ging es der Regionaldirektion zufolge bei der Langzeitarbeitslosigkeit - um neun Prozent auf etwa 27 500. Positiv ausgewirkt habe sich das Anfang 2019 in Kraft getretene Teilhabechancengesetz. Mit dem werden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse von Menschen gefördert, die zuvor innerhalb von sieben Jahren mindestens sechs Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben. In Rheinland-Pfalz seien auf diesem Wege 2019 bis November 1370 Menschen gefördert worden, sagte Schulz.

LVU-Präsident Braun sieht die Wirkung des Teilhabechancengesetzes zurückhaltender. Es sei ein relativ teures Instrument mit begrenzter Wirkung. Das Gros der Langzeitarbeitslosen werde damit nicht in den Arbeitsmarkt zurückgeholt werden können.

DGB-Chef Muscheid äußerte sich ebenfalls kritisch. „Wer bereits lange ohne Arbeit ist, profitiert nicht von der nach wie vor guten wirtschaftlichen Situation des Landes, sondern wird immer stärker abgehängt.“ Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit sei von 376 Tagen im Jahr 2009 auf 419 Tage im Jahr 2018 gestiegen.

Für 2020 erwartet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit für Rheinland-Pfalz nach Schulz' Worten eine nahezu stabile Entwicklung der Arbeitslosigkeit - konkret einen minimalen Rückgang um 0,6 Prozent und ein Beschäftigungsplus von 0,6 Prozent. Es sei kein Einbruch vorhergesagt. Das sei ein schöner Ausblick angesichts der zuletzt langen positiven Entwicklung.

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