Fast 30 Jahre lange lief es für Gunda Thiel richtig gut. Die Endfünfzigerin, die ihren wirklichen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, stieg in einem deutschen Großunternehmen Schritt für Schritt die Karriereleiter auf. Thiel war bei ihren Chefs angesehen, 60 Mitarbeiter hatte sie zuletzt unter sich - bis zu jenem Freitag vor mehr als einem Jahr, an dem sie wie immer noch ein paar Dokumente zusammengestellt hatte, um diese im wöchentlichen Meeting zu präsentieren. An jenem Freitag hieß es plötzlich, sie bekomme ab sofort einen neuen, jungen Vorgesetzten. Wenige Tage später kam es für Thiel noch schlimmer: Ihr neuer Chef, den sie einst selbst gefördert hatte, überreichte ihr die Kündigung, aus der später ein Aufhebungsvertrag mit der in solchen Fällen üblichen Abfindung wurde.
Seitdem ist Thiel auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber - bislang ohne Erfolg. "In den Stellenanzeigen wird oft mit dem Hinweis geworben: ,Es erwarten Sie ein junges Team und flache Hierarchien'", sagt sie. Wer sich dann mit mehr als 50 Jahren bewerbe, bekomme die Antwort schon nach wenigen Tagen. "Da weiß man, das hat nie ein Mensch gelesen." Thiel glaubt auch zu wissen, woran das liegt: Unternehmen ließen Bewerbungen mittlerweile maschinell auswerten. Das erste, was der Computer prüfe, sei das Geburtsdatum. "Wenn das nicht passt, geht der automatisierte Standardbrief heraus: Wir haben uns für einen anderen Bewerber entschieden."
Generation Heynckes:Die Altersgrenze muss raus aus den Köpfen
Die Rückkehr von Jupp Heynckes zum FC Bayern zeigt: Man wirbt wieder um ältere qualifizierte Arbeitnehmer. Endlich! Aber genug ist das noch nicht.
Mit 50 zu alt für einen neuen Job - das gilt zwar nicht für alle Unternehmen. Bei der Deutschen Bahn etwa war von den neu eingestellten Mitarbeitern im vergangenen Jahr mehr als jeder Zehnte älter als 50. Doch offenbar sind nicht alle Firmen bereit, Ältere in den Betrieb aufzunehmen: Obwohl noch nie so viele Menschen in Deutschland erwerbstätig waren, in manchen Berufen bereits Fachkräfte fehlen und immer mehr Ältere arbeiten, gibt es nach wie vor ein großes Problem: Wer mit über 50 arbeitslos wird und sich neu bewerben muss, bekommt wie die frühere Managerin Thiel oft nur Absagen.
Die letzten beiden Bundesregierungen haben stets gern darauf verwiesen, dass für die Grauhaarigen in den Betrieben längst nicht mehr mit 55 oder 60 Schluss ist. Tatsächlich waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 2015 etwa 5,3 Millionen Menschen im Alter von 55 bis 65 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind 2,5 Millionen oder fast 90 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Besonders stark ist das Plus bei den 60-bis 65-Jährigen. Die Beschäftigung Älterer ist laut Arbeitsagentur damit "stärker gestiegen als die Beschäftigung insgesamt".
Gründe gibt es dafür viele: Die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, kommen ins höhere Alter, folglich sind mehr Menschen im Alter von 50 plus in den Betrieben. Die staatliche geförderte Altersteilzeit ist abgeschafft, ebenso das alte Vorruhestandsgesetz, das schon 58-Jährigen den Ausstieg aus dem Berufsleben relativ leicht machte. Auch sind Ältere heute fitter und leistungsfähiger als früher. Die Arbeitgeber wollen ihre Fachkräfte behalten. Und wer bleiben kann, bleibt, ist es doch nicht gerade attraktiv, mit 55 oder älter arbeitslos zu werden und dann womöglich ins Hartz-IV-System abzurutschen.
Andererseits haben es Jobsucher ab 55 schwerer als Jüngere, wieder eine Stelle zu finden, obwohl sie häufiger als alle Arbeitslosen über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Haben sie erst einmal ihren Job verloren, bleiben sie länger arbeitslos als Jüngere. Und je länger das so ist und je älter sie sind, desto seltener gelingt ihnen der Wiedereinstieg.
"Ihr Alter an sich ist ein Vermittlungshemmnis", heißt es in einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit. So sieht es auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Ältere hätten es bei Neueinstellungen schwerer als Jüngere, "da ihre berufliche Ausbildung bereits länger zurückliegt und das erworbene Wissen als veraltet eingeschätzt werden könnte", stellten IAB-Forscher fest. Das spiele "umso mehr eine Rolle, je höher die früher erworbene Qualifikation ist und je weniger Weiterbildung im Laufe des Erwerbslebens erfolgte".
Eine lange Berufserfahrung in einem Unternehmen könne "sehr speziell sein und bei einem potenziellen neuen Arbeitgeber nichts mehr wert sein", sagt auch Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Es könne deshalb sein, dass ältere Jobsucher ihren Wert am Arbeitsmarkt und ihre Verdienstmöglichkeiten falsch einschätzten. Außerdem wollten Unternehmen neue Mitarbeiter oft langfristig gewinnen. Wer in fünf oder sieben Jahren in Rente gehe, sei dann nicht mehr so attraktiv. Schäfer räumt aber auch ein, dass es in Unternehmen noch Vorbehalte gegenüber älteren Bewerbern geben könne: "Die Arbeitgeber machen sich dann Sorgen, dass ältere Arbeitnehmer weniger leistungsfähig und häufiger krank sind."
Dabei sind die Erfahrungen der Betriebe positiv, ergab eine Erhebung des IAB. Von denjenigen, die nach eigenen Angaben Ältere ab 50 einstellten, äußerten sich mehr als 90 Prozent positiv über ihre neuen Mitarbeiter. Nur bei durchschnittlich 14 Prozent der neu eingestellten Älteren berichteten die Betriebe von "häufigeren Fehlzeiten".
Für die frühere Managerin Thiel ist deshalb klar: "In vielen Personalabteilungen muss noch ein Umdenken stattfinden." Gleichberechtigung am Arbeitsplatz müsse ältere Arbeitnehmer einbeziehen. Dabei gehe es auch um die sozialen Systeme. Wenn selbst hoch qualifizierte Führungskräfte schon an der ersten Stufe des Bewerbungsverfahrens scheiterten, nur weil das Geburtsdatum mit der falschen Ziffer anfange, "entpuppt sich die Losung: Wir müssen bis 70 arbeiten, um die Rente zu stabilisieren, als hohle Phrase", sagt sie.