Düsseldorf:Schimmel, Ausbeutung: NRW schließt Sammelunterkünfte

Lesezeit: 2 min

Ina Scharrenbach während einer Pressekonferenz. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Wegen katastrophaler, teils lebensgefährlicher Wohnbedingungen sind in Geldern und Emmerich am Niederrhein sechs Sammelunterkünfte für Leiharbeiter geschlossen...

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Düsseldorf (dpa/lnw) - Wegen katastrophaler, teils lebensgefährlicher Wohnbedingungen sind in Geldern und Emmerich am Niederrhein sechs Sammelunterkünfte für Leiharbeiter geschlossen worden. Das teilte NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Freitag in Düsseldorf mit. „Zudem werden Strafverfolgungsbehörden aufgrund der ausbeuterischen Mietverhältnisse und der Gefahren für Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner in Teilen der Unterkünfte eingeschaltet.“

Damit würden Konsequenzen aus einer gemeinsamen deutsch-niederländischen Kontrollaktion vor einer Woche gezogen. „Das Ergebnis der Kontrollen zeigt erhebliche Mängel und Rechtsverstöße unter anderem bei Wohnqualität, Überbelegung und Hygienevorschriften“, berichtete Scharrenbach. Nahezu alle Räume der geprüften Unterkünfte seien von Schimmel befallen gewesen.

„Vier der sechs Sammelunterkünfte waren von Schädlingen wie Kakerlaken und Ratten befallen, zudem gab es Vermüllung in und außerhalb der Gebäude“, teilte die Ministerin mit. „Die sanitären Anlagen waren unzureichend – in einem Fall gar nicht mehr benutzbar“. Eine Unterkunft habe weder Heizung noch warmes Wasser gehabt. Auch Mängel bei der Stromversorgung wurden festgestellt. Zudem sei ein illegal eingeführter Kampfhund entdeckt worden.

Die deutschen Behörden prüften nun auch, ob die hohen Mieten, die eingeschleuste Arbeitnehmer pro Matratze zahlen müssten, strafrechtlich verfolgt werden können. „Denn Mieten von 400 Euro pro Bett und Gesamtmieten von bis zu 8400 Euro für ein Einfamilienhaus in miserablem Zustand übersteigen das ortsübliche Maß um ein Vielfaches“, erklärte die Bauministerin. „Die Unerfahrenheit und Zwangslage der Betroffenen wird skrupellos ausgenutzt.“

Am vergangenen Wochenende hatten insgesamt 80 Mitarbeiter deutscher und niederländischer Behörden die sechs Sammelunterkünfte in Bezug auf Bau- und Hygienevorschriften, Wohnqualität und Überbelegung überprüft. Nach Angaben des NRW-Bauministeriums waren dabei über 140 Personen kontrolliert und über ihre Schutzrechte aufgeklärt worden. Demnach hatte sich der Verdacht einer organisierten Einschleusung von Arbeitnehmern, vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien, ebenso bestätigt wie Mieter- und Arbeitnehmerausbeutung durch Leiharbeitsunternehmen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Bei den Kontrollen wurden den Angaben zufolge mindestens 73 Personen angetroffen, die in Deutschland nicht angemeldet waren

„Wir nutzen die Bauordnung und das Wohnraumstärkungsgesetz, um Recht und Gesetz durchzusetzen, menschenunwürdige Unterkünfte aufzulösen und Menschen zu schützen“, betonte Scharrenbach. Das seit Juli 2021 wirksame Landesgesetz gibt den Kommunen einen Instrumente-Kasten an die Hand, um gegen Wohnungsverwahrlosung und menschenunwürdige Unterbringung durchzugreifen.

Unterkünfte außerhalb des Betriebsgeländes müssen angezeigt werden. Außerdem ist ein Betriebskonzept vorzulegen. „Wenn Vorschriften für Unterkünfte nicht eingehalten werden, kann auch eine Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro verhängt werden“, mahnte Scharrenbach. Der Bundesgesetzgeber müsse Schlupflöcher im Melderecht aber schnellstens schließen: In den ersten drei Monaten müssten Unternehmen derzeit nicht melden, wie viele Arbeitnehmer aus dem Ausland bei ihnen lebten, kritisierte sie.

Bei der Kontrollaktion hatte laut Ministerium eine Unterkunft wegen Lebensgefahr unverzüglich geräumt werden müssen, in einer weiteren das Dachgeschoss. Die 21 betroffenen Arbeitnehmer, die zunächst in Notunterkünfte gebracht worden waren, müssten nun von dem Leiharbeitsunternehmen angemessen untergebracht werden. Andernfalls stelle der Staat die Unterbringung in Rechnung.

Festgestellt wurde außerdem: „Bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wird regelmäßig, trotz geleisteter Arbeit, für den letzten Beschäftigungsmonat kein Lohn mehr gezahlt.“ Auch auf der niederländischen Seite prüften Arbeitsschutz und Strafverfolgungsbehörden nun die Verstöße. Im Nachbarland könnten Bußgelder bis zu 100 000 Euro ausgeschöpft werden.

Vor allem der in Deutschland günstigere Wohnraum habe Leiharbeitsunternehmen in den Niederlanden dazu verleitet, ihre Arbeitnehmer hier „unbemerkt und zu überteuerten Mieten unterzubringen und dabei selbst im Wesentlichen unbehelligt zu bleiben“, erklärte das Bauministerium. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit werde dem Treiben „zunehmend den Riegel vorschieben“, kündigte Scharrenbach an. Nach Schätzungen des Ministeriums arbeiten allein im grenznahen Kreis Kleve - mit den Städten Geldern und Emmerich - etwa 2000 Arbeitsmigranten unter unwürdigen Arbeitsbedingungen.

© dpa-infocom, dpa:220218-99-188337/4

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: