Debatte um Arbeitszeiten:Forscher warnen vor Abschaffung des Acht-Stunden-Tages

Lesezeit: 3 Min.

  • Deutsche Arbeitgeber wollen den Acht-Stunden-Tag als Grundregel abschaffen und nur noch die Wochenarbeitszeit begrenzen.
  • Doch eine Studie zeigt, dass Beschäftigte schon jetzt sehr flexibel arbeiten.
  • Gewerkschaftsnahe Forscher kontern: Eine Abschaffung des Acht-Stunden-Tages würde es erschweren, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Von Alexander Hagelüken

Die deutschen Arbeitgeber erregen mit einem Vorstoß Aufsehen: Sie wollen den Acht-Stunden-Tag als Grundregel abschaffen und die Arbeitszeit nur pro Woche begrenzen - die Digitalisierung fordere mehr Flexibilität. Gewerkschaftsnahe Forscher geben Contra: Deutsche Beschäftigte werden schon sehr flexibel eingesetzt, zeigt eine Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Ein Kippen des Acht-Stunden-Tages würde es erschweren, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Vielzahl von Regeln

In der deutschen Wirtschaft gilt inzwischen eine Vielzahl von Regeln, die den Unternehmen entgegenkommen, analysiert Reinhard Bispinck vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut. So können Chemiekonzerne Beschäftigte auch über längere Zeiträume jetzt schon bis zu zehn Stunden am Tag einsetzen. Diese Zusatzleistung muss nur binnen eines Jahres (oder nach besonderer Vereinbarung erst binnen dreier Jahre) durch Freizeit ausgeglichen werden, so dass am Ende die tariflich vereinbarte 37,5-Stunden-Woche (also umgerechnet 7,5 Stunden am Tag) erreicht wird.

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Die Firmen können statt dieser variablen Gestaltung auch Beschäftigte per Überstunden grundsätzlich länger werkeln lassen. Wobei deren Zahl ebenso wenig begrenzt ist wie in der Druckindustrie oder im öffentlichen Dienst, solange nicht mehr als zehn Stunden am Tag gearbeitet wird.

Zehn Stunden auch am Bau möglich

Zehn Stunden am Tag sind auch am Bau oder bei Verkehrsbetrieben möglich. Ebenfalls variabel geht es in der Metallbranche zu, zu der Autofabriken und Maschinenbau zählen. Dort kann die Arbeit ebenfalls auf maximal zehn Stunden am Tag und bis zu 50 Stunden die Woche ausgedehnt werden - ausgeglichen durch Freizeit oder bezahlt als Überstunden. Ähnliche Regeln gibt es vom Hotelgewerbe bis zu Banken und Versicherungen in den meisten Branchen in Deutschland, sagt Bispinck. Die Firmen sparten sich durch das Schwanken der regelmäßigen Arbeitszeiten und den späteren Ausgleich durch Freizeit anders als früher oft die Bezahlung von Überstunden und deren Zuschlägen von häufig 25 Prozent.

Es gibt noch mehr Möglichkeiten abseits des klassischen Acht-Stunden-Tages unter der Woche: In den meisten Branchen ist es möglich, Beschäftigte am Samstag ohne Zuschläge einzusetzen. Und sie dürfen sonntags oder nachts arbeiten, mit Zuschlägen. "Alle Wünsche der Firmen sind erfüllt", findet Bispinck, der beim WSI das Tarifarchiv leitet.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) fühlt sich missverstanden. "Es geht uns nicht darum, dass generell länger gearbeitet wird", erklärt Hauptgeschäftsführer Alexander Gunkel. Es gehe um Flexibilisierungen, von denen oftmals auch die Beschäftigten profitieren würden, weil sie dann anders als jetzt für Arbeit bezahlt würden, die ohnehin anfalle. Als Beispiel nennt er eine Hochzeit in einem Hotel, die für die Angestellten länger als zehn Stunden dauert. Oder Bürojobs, bei denen manchmal um neun Uhr morgens ein erster Termin steht und am Abend noch eine Veranstaltung, aber niemand mittags drei Stunden verschwindet, um die vorgeschriebene Arbeitszeit einzuhalten.

Gerade im digitalen Zeitalter gebe es Projekte, bei denen es gut wäre, wenn sie der Beschäftigte durch längere Arbeitszeit erledigen könnte. "Am Anfang wird immer behauptet, dass es nur um Ausnahmen geht", entgegnet Bispinck. Der Acht-Stunden-Tag habe eine Ankerfunktion: "Wenn man das aufgibt, ist ein Damm gebrochen. Den Beschäftigten drohen dann noch längere Arbeitszeiten."

Ungleichheit bei den Zielen

Ob das wirklich so kommt, ist heiß umstritten. Bispinck verweist darauf, dass jeder fünfte männliche Beschäftige jetzt schon grundsätzlich mehr als acht Stunden am Tag arbeitet - der Anteil hat sich in 20 Jahren fast verdoppelt. Bei jedem siebten sind es sogar mehr als neun Stunden. Gerade berufstätige Eltern könnten durch überlange und stark schwankende Arbeitszeiten überfordert werden. Einen generellen Trend zur Ausweitung der Belastung gibt es aber nicht, kontern die Arbeitgeber - und haben genauso Recht: Im Schnitt sind deutsche Männer 20 Minuten weniger pro Tag in ihrem Job eingespannt als vor zwei Jahrzehnten.

Gewerkschafter sehen aber auch eine Ungleichheit bei den Zielen: Während die Arbeitgeber die flexiblen Einsatzzeiten bekämen, die sie wollten, sei dies mit den Wünschen der Beschäftigten anders. Wer etwa wegen kleiner Kinder vorübergehend 30 Stunden arbeiten und später wieder aufstocken möchte, scheitere oft an seiner Firma.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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