Wie gesund Rotwein ist:Château Médecine

Schützt Rotwein das Herz und bewahrt vor Schlaganfällen? Der Mythos vom gesunden Genuss ist stark übertrieben. Ein Irrglaube ist auch, dass Rotwein in seiner Wirkung auf den Kreislauf besser sei als Bier.

Von Kathrin Burger

Er besitze erstmals mehr Rotweinvorräte als Socken und Unterhosen, verkündete der Journalist Harald Martenstein vor einiger Zeit. Schließlich bekomme er regelmäßig Rotwein geschenkt, doch dessen Absatz schwinde. Im Regelfall setze er die Flaschen lieben Gästen vor, schrieb Martenstein in seiner Kolumne in der Zeit. Das habe früher auch recht gut funktioniert, "weil die Menschen noch nicht so maßvoll gewesen sind". Aber nun? "Heutzutage trinken die meisten Gäste, weil sie total bewusst sind, nur noch ein bis zwei Gläser."

Diese Einschränkung im Trinkverhalten seiner Freunde hat der Publizist womöglich einer Reihe von Studien zu verdanken, die seit den 1980er-Jahren zwar vor hohem Alkoholkonsum warnen, aber mäßigen Konsum empfehlen. Aus dem Appell wurde inzwischen sogar ein regelrechtes Gebot: "Trinke täglich ein Glas Rotwein, um dich vor Herzinfarkt und Schlaganfall zu schützen", lautet das Credo.

Einiges scheint tatsächlich für den gesundheitlichen Nutzen des roten Tropfens zu sprechen. "Ist es wieder Zeit für einen Toast auf den Rotwein?", fragt das Fachmagazin Science anlässlich einer Studie. Es geht um den Inhaltsstoff Resveratrol, der im Rotwein enthalten ist und diesem im Gegensatz zum Weißwein eine besonders gesundheitsförderliche Wirkung verleihen soll. Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston haben in Zellversuchen getestet, unter welchen Umständen Resveratrol ein Protein namens Sirtuin aktivieren kann. Dieses gilt als eines der Schlüssel-Enzyme in Sachen Krebs- und Herzinfarktprophylaxe und soll damit quasi für Langlebigkeit zuständig sein.

Ließe sich die Studie wie ein Plädoyer für das tägliche Glas Rotwein lesen? Wie so oft in der Ernährungswissenschaft ist die Sache nicht so einfach wie gedacht. Gewiss lassen viele epidemiologische Studien der letzten 30 Jahre vermuten, dass ein maßvoller Konsum von Rotwein das Risiko reduziert, an Herzleiden, Schlaganfall oder Diabetes zu erkranken; damit sinkt auch die Sterblichkeit. So hat William Ghali von der Universität in Calgary im Jahr 2011 in einer Meta-Analyse von 84 Studien gezeigt, dass Menschen mit leichtem bis moderatem Alkoholkonsum um ein Viertel seltener unter Herzkreislauferkrankungen leiden als Abstinenzler.

Auch die möglichen Mechanismen des Herzschutzes sind bis ins Detail beschrieben: Alkohol erhöht das gute HDL-Cholesterin und verdünnt das Blut, sodass Gerinnsel weniger leicht entstehen. "Das spricht dafür, dass die epidemiologischen Befunde richtig sind", sagt Ulrich Keil von der Universität Münster. Der Epidemiologe vermutet, dass die Herzen von Menschen mit moderatem Alkoholkonsum tatsächlich wegen des Alkohols gesünder sind und nicht umgekehrt die Menschen mit gesundem Herzen mehr Alkohol trinken als kranke Menschen. Eine Interpretation, mit der nicht alle Forscher einverstanden sind.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und diverser anderer Fachgesellschaften gelten zehn Gramm Alkohol pro Tag für Frauen als maßvoll - für Männer doppelt so viel. Zehn Gramm Alkohol sind in vier Zentilitern Schnaps enthalten, einem Viertelliter Bier oder einem Achtelliter Wein. Ulrich Keil meint jedoch, dass diese Werte der Emotionalität der Diskussion geschuldet seien: "Wenn man sich die Studien ansieht, dann sind 20 Gramm für Frauen und 30 Gramm für Männer optimal für das Herz", sagt der Mediziner, der kürzlich zusammen mit dem International Forum on Alcohol Research der WHO vorwarf, Alkohol zu Unrecht zu verteufeln.

Wie die Weinindustrie in der Forschung mitmischt

Ob der Alkohol zum Essen getrunken oder ohne feste Nahrung genossen wird, scheint dabei zumindest für den Herzschutz egal zu sein. Für das Herz unerheblich ist zudem, ob die Wochenration regelmäßig über sieben Tage verteilt verkonsumiert wird oder ob alkoholfreie Tage eingelegt werden. Und schließlich spielt auch keine Rolle, in Form welcher Getränke der Alkohol genossen wird. Die günstigen Auswirkungen gelten nicht nur für Rotwein, sondern ebenso für die von gesundheitsbewussten Laien oft geächteten Getränke Bier und Schnaps.

Auch die Science-Studie ändert nichts an diesen Erkenntnissen aus der Epidemiologie: "Versuche mit Einzelsubstanzen in der Kulturschale sagen nicht viel aus", sagt Ulrich Keil. Sein Kollege Kailash Prasad von der Universität Saskatchewan in Kanada resümierte bereits vor einem Jahr in einer Übersichtsarbeit: "Im Tierversuch und in In-vitro-Studien kann Resveratrol Gefäßverkalkungen verhindern, aber beim Menschen fehlen robuste klinische Studien, die irgendeine präventive Wirkung belegen."

Dass sich der Mythos vom Rotwein als gesündestem alkoholischen Getränk so hartnäckig hält, ist vor allem den Bemühungen der Weinindustrie zu verdenken. Sie finanzierte schon die ersten Studien zum Gesundheitspotenzial von Wein. Noch heute entstehen auffällig viele Forschungsarbeiten in Kalifornien, Südafrika, Italien oder Frankreich, die Resveratrol als Wunderstoff feiern, weil die Substanz aus der Schale von roten Trauben antioxidativ und entzündungshemmend sei und obendrein Übergewicht vorbeuge.

Solche Studienergebnisse werden dann in Industrie-Broschüren verbreitet, die eine erstaunliche Leserschaft finden. So liegt dem Kassenarzt - einem der auflagenstärksten Blätter im Gesundheitsbereich - regelmäßig ein Gratisheft mit dem Namen Vinomed bei. In diesem Blättchen werden die neuesten Studien zum Gesundheitspotenzial von Merlot, Chianti-Weinen oder Riesling erörtert, freilich nur die positiven. Herausgeber ist die Deutsche Weinakademie, die unter anderem vom Weinbauverband getragen wird.

Brauereien haben weniger Zugang zur Forschung

Zwar versuchen seit geraumer Zeit auch die Brauereien Zugang zu den Universitätslaboren zu bekommen - schließlich tummeln sich ja auch im Bier zahlreiche Gesundstoffe wie das Xanthumol, mit dessen Hilfe sich zumindest in der Petrischale Krebszellen abtöten lassen. Aber um gegen das Image vom gesunden Rotwein anzukommen, werden wohl noch Jahre ins Land gehen.

Die Botschaft, dass Alkohol in Maßen generell der Gesundheit förderlich sei, ist allerdings nicht unumstritten. Während der Münsteraner Forscher Keil sie für ausreichend belegt hält, leitet Helmut Karl Seitz vom Alkoholforschungszentrum der Universität Heidelberg aus den vorliegenden Fakten keine gesicherten Beweise ab. In den Studien werde der Gesundheitszustand der Alkoholkonsumenten mit dem von Abstinenzlern verglichen, moniert Seitz: "Abstinenzler sind aber oft Ex-Trinker oder kranke Personen." Zudem seien Menschen mit moderatem Trinkverhalten auch sonst eher gesundheitsbewusst.

Alkohol erhöht das Krebsrisiko

Seitz sieht lediglich für Menschen, die älter als 65 Jahre sind und bereits einen Herzinfarkt erlitten haben oder die mit erhöhtem Blutdruck und hohen Blutfettwerten zu den kardiologischen Risikopersonen zählen, einen wissenschaftlich belegten Vorteil durch ein Gläschen Alkohol pro Tag.

Zunehmend zeigt sich auch, dass schon bei maßvollem Alkoholkonsum die Gesundheit Schaden nehmen kann. Kleine Mengen greifen etwa die Schleimhautzellen in Mundhöhle, Speiseröhre und Magen an. Die in den Alkoholika vorkommenden Säuren wie Äpfel- oder Bernsteinsäure verursachen Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre. Der Gastroenterologe Manfred Singer von der Universität Heidelberg rät deshalb, Alkohol stets zum Essen zu trinken, weil das die Säuren abpuffere.

Auch bei geringen Mengen steigt das Risiko, an Tumoren in Mundhöhle, Rachen oder Speiseröhre zu erkranken - wenn auch nur gering. Das zeigte etwa eine 2011 erschienene Auswertung von 19 Studien. Laut der europäischen EPIC-Studie zum Thema Krebs und Ernährung steigt zudem die Anfälligkeit für Darm- und Leberkrebs durch Alkohol. Bei Frauen erhöht das tägliche Gläschen auch die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs um sieben bis acht Prozent. Hier macht es ebenfalls keinen Unterschied, ob Gersten- oder Rebensaft bevorzugt wird, auch wenn dies auf der Internetseite der Deutschen Weinakademie behauptet wird.

Der Präventionsspezialist David Nelson vom National Cancer Institute in Bethesda rechnet vor, dass 30 Prozent aller Krebserkrankungen, die in den USA als Folge von Alkohol entstehen, nur ein täglicher Konsum von weniger als 20 Gramm voranging. Eine mögliche Erklärung dafür: Weil die Leber bevorzugt Alkohol abbaut, kommt sie nicht mehr mit der Entgiftung von Kanzerogenen nach. Nelson schließt aus seinen Daten, dass ein reduzierter Alkoholkonsum eine bislang unterschätzte Strategie in der Krebsprophylaxe sei. Gefährlich wird das tägliche Gläschen demnach vor allem, wenn dazu geraucht wird - die Risikoerhöhung für die einzelnen Tumorarten ist dann stärker als die pure Addition der Einzelrisiken.

Die Autoren der EPIC-Studie folgern deshalb: "Auch wenn moderates Trinken das Risiko für Herzkrankheiten verringert, so ist der Netto-Effekt doch negativ." Auch Gerichte sehen keinerlei Anlass für Gesundheitswerbung auf den Etiketten von Wein oder Bier. Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof Pfälzer Winzern verboten, ihren Wein als "bekömmlich" zu bezeichnen. Schließlich seien ab einem Alkoholgehalt von 1,2 Volumenprozent derartige "gesundheitsbezogene Aussagen" nicht zulässig.

Vor zwei Jahren gab es bereits einen ähnlichen Beschluss des Landgerichts Berlin in Sachen Bier. Trotzdem meint der Heidelberger Forscher Seitz: "Gesunde Menschen müssen Alkohol nicht total aus ihrem Leben verbannen. "Allerdings sollten sie zwei alkoholfreie Tage pro Woche einlegen, um einer Abhängigkeit entgegenzuwirken." Alkohol ist nun einmal kein Medikament, sondern ein Genussmittel, das in zu hohen Dosen toxisch ist.

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