Coronavirus:Die Lücken der Statistik

Coronavirus: Zahlen und Statistiken auf einem Bildschirm

In Großbritannien schaut eine Frau auf einen Bildschirm, auf dem die Zahlen zur Coronavirus-Pandemie in Echtzeit aktualisiert werden.

(Foto: dpa)
  • Forscher gehen davon aus, dass die offiziellen Zahlen der Infizierten in vielen Ländern viel zu niedrig sind.
  • Gründe sind neben einer zu geringen Anzahl an Tests, auch verzögerte Meldungen von symptomfreien Infizierten.
  • Epidemiologen schätzen, dass in Deutschland etwa 66 Prozent der Kranken erfasst sind.

Von Berit Uhlmann

Man hat sich daran gewöhnt, Tag für Tag die Statistiken zu konsultieren. Wie geht es weiter mit Covid-19? Wie sehr steigen die Zahlen in Deutschland, in der Welt? Dabei ist es wichtig, die Daten mit Vorsicht zu interpretieren. Denn ein genaues Abbild der aktuell Erkrankten oder Infizierten bieten die Ziffernkolonnen mitnichten. Es ist recht sicher, dass die Zahl der aktuellen Fälle in nahezu allen Ländern unterschätzt wird. Dazu kommt es unter anderem, weil zu wenig getestet wird, und weil Menschen auch infiziert sein können, ohne viel davon zu spüren und folglich auch nicht zum Arzt gehen. Oder, weil viele Tage vergehen können, bis ein Erkrankter in der Statistik seines Landes auftaucht. Bei einem exponentiellen Wachstum, bei dem sich die Zahlen alle paar Tage verdoppeln, können Verzögerungen von mehr als einer Woche zu massiven Fehleinschätzungen führen.

In manchen Ländern dürften nicht einmal fünf Prozent der Erkrankten statistisch erfasst sein

Epidemiologen der London School of Hygiene and Tropical Medicine schätzen, dass einige Länder nicht einmal fünf Prozent aller symptomatisch Erkrankten erfassen, dazu gehören Algerien und Indonesien. Für Südkorea gehen sie davon aus, dass 77 Prozent der Kranken registriert sind, für Deutschland schätzen sie einen Wert von 66 Prozent. Auch dies ist nur eine Annäherung mit vielen Fragezeichen. Zudem beziehen sich die Berechnungen nur auf Erkrankte, nicht aber auf Infizierte ohne Symptome. Die Deutsche Gesellschaft für Virologie geht davon aus, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten die der laborbestätigten Diagnosen hierzulande um ein Vielfaches übersteigt. Vor diesem Hintergrund ist besonders abwegig, dass einige Menschen neuerdings meinen, die Zahlen der Erkrankten seien überschätzt. Seit einigen Tagen verbreitet sich die Falschdarstellung, dass die weiter steigenden Fallzahlen lediglich auf eine Änderung der Definition zurückgingen, nach der die Fälle gezählt werden. Das ist nicht einmal im Ansatz richtig.

In Deutschland wird weiterhin nur in die offizielle Zählung eingefügt, wer positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde. Dabei ist unerheblich, ob dieser Mensch Symptome hat oder man weiß, wo er sich angesteckt hat. So ist es in der Falldefinition festgelegt, die das Robert-Koch-Institut (RKI) herausgibt. In dieser Definition ist seit mindestens Mitte Februar eine Unterkategorie enthalten, mit deren Hilfe das RKI zusätzlich verfolgt, wie viele potenzielle Fälle ohne Labornachweis es geben könnte: Menschen, die Symptome zeigen und Kontakt zu Erkrankten hatten. Das ist ein übliches Vorgehen, es wird auch bei anderen Infektionskrankheiten angewendet. Diese Unterkategorie wurde in der vergangenen Woche leicht geändert. So werden dort nun auch Kranke erfasst, die sich in Kliniken oder Altenheimen aufhielten, in denen es einen Ausbruch gab. Doch für die offizielle Statistik ist diese Kategorie sowie ihre Änderung ohne jeden Belang. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO weist in den offiziellen Zahlen nur die im Labor bestätigtem Fälle aus.

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Große Unsicherheiten gibt es darüber hinaus bei der Erfassung der an Covid-19 Verstorbenen. Zu ihnen zählt in Deutschland, wer kurz vor seinem Tod positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde - unabhängig von sonstigen Erkrankungen. Es dürfte oft nur schwer zu trennen sein, ob nun ein Grundleiden oder die aktuelle Infektion den Tod hervorgerufen hat.

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