Seuche in Westafrika:Ethik in Zeiten von Ebola

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Westafrika in Angst: Mitarbeiter eines Krankenhauses in Sierra Leone. (Foto: Michael Duff/AP)

Wer nach einer Ebola-Infektion dem Tod ins Auge blickt, würde wohl jede Chance auf Rettung ergreifen. Das weiß auch die Weltgesundheitsorganisation. Sie steht vor einer heiklen Frage: Dürfen gegen die Seuche Medikamente oder Impfstoffe eingesetzt werden, die noch nie am Menschen erprobt wurden?

Von Kathrin Zinkant, München

Ein einziger Mensch war genug. Ein Patient, in dessen Körper die Seuche auf ihre Reise nach Nigeria ging. Neun Menschen soll der eine Mann dort angesteckt haben, zwei von ihnen sind gestorben. Inzwischen wurden 77 Kontaktpersonen der Infizierten in Lagos ausfindig gemacht. Sie befinden sich auf Isolierstationen oder unter strenger Beobachtung. Dass es weitere Menschen gibt, die mit den Patienten in Berührung kamen, ist allerdings wahrscheinlich. Ebola hat Nigeria in seinem sensiblen Zentrum erfasst, das Virus breitet sich nun mitten in der bevölkerungsreichsten Stadt Afrikas aus.

Damit setzt sich der bislang schlimmste Ebola-Ausbruch in der Geschichte fort. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 961 Menschen ums Leben gekommen, weitere 1779 infiziert. Dem nigerianischen Roten Kreuz zufolge arbeiten im mittlerweile vierten Land, das von der Seuche befallen ist, Freiwillige mit den Behörden zusammen und klären über die Erkrankung auf, die verheerende Verwüstungen in den Körpern der Patienten anrichtet.

Zahl der Ebolafälle wird bald 2000 überschreiten

Wer einem solchen Tod ins Auge blickt, würde wohl jede Chance auf Rettung ergreifen. Darüber sind sich die Experten im Klaren, die im Auftrag der WHO am Montag darüber beraten haben, ob und wie sich experimentelle Medikamente in den Ebolagebieten Westafrikas sinnvoll einsetzen lassen. Erste Ergebnisse dieser Gespräche sollen am Dienstag bekannt werden. Bislang gibt es keine zugelassenen Heilmittel oder Impfstoffe gegen den Erreger. Die WHO hatte am Freitag den Internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen, damit die betroffenen Ländern reagieren können. Dazu gehören die Sicherung der Landesgrenzen, aber auch zentral organisierte medizinische Maßnahmen, um die Seuche einzudämmen. Die Zahl der Ebolafälle wird zweifellos bald 2000 überschreiten, etwa jeder zweite Patient stirbt.

Zwei infizierte Amerikaner und ein erkrankter Spanier sind mit einem nicht zugelassenen Antikörper-Präparat behandelt worden und nach derzeitigen Informationen auf dem Wege der Besserung. Nun wird erstmals diskutiert, unerprobte Ebola-Medikamente nach Afrika zu bringen. Abgesehen von dem Antikörper-Mix ZMapp gibt es mindestens drei weitere Arzneien und zwei Impfstoffe, die alle viel versprechen, aber wissenschaftlich bisher nur an Versuchstieren, zumeist Affen getestet wurden. Ob die Mittel in Menschen unerwünschte Nebenwirkungen entfalten, lassen solche Versuche offen. Es geht deshalb jetzt zuerst um Ethik: Darf man solche Mittel Hunderten Patienten anbieten, die um ihr Leben bangen - und in ihrer prekären Lage vielleicht nicht erfassen, dass ihre Chance auf Rettung unbekannte Risiken birgt?

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen sieht das kritisch, weil etwa Antikörper wie ZMapp zu heftigen, womöglich lebensbedrohlichen Überreaktionen des Immunsystems führen können. Vielen Helfern erscheint es sinnvoller, anstelle von "Menschenversuchen" den Nachschub an Infusionen und anderen Mitteln zu sichern, um die Symptome zu lindern. Auch die WHO hat bereits auf den ärztlichen Grundsatz verwiesen, dass dem Patienten "zuallererst kein Schaden" zugefügt werden dürfe. Der Weltärztebund dagegen beruft sich auf seine Deklaration von Helsinki, derzufolge der Einsatz unerprobter Arzneien nach "informierter Einwilligung" des vom Tode bedrohten Patienten zulässig ist, wenn es keine wirksame Alternative gibt.

Am Einzelfall lässt sich keine Wirkung nachweisen

Bis ZMapp oder das inzwischen für Versuche freigegebene Medikament TKM-Ebola in Westafrika zum Einsatz kommen können, müssen allerdings noch ein paar andere Probleme gelöst werden. Eines der wichtigsten ist die Frage der Beschaffung. Der WHO-Experte Keiji Fukuda sagte am Freitag, die Medikamente seien definitiv noch nicht in "Mengen" verfügbar. ZMapp etwa wird von genetisch veränderten Pflanzen produziert, die erst wachsen müssen, bevor sie den Nachschub sichern. Bei TKM-Ebola handelt es sich um ein Medikament, das unter anderem die Vermehrung des Virus blockieren soll. Solche Mittel sind neu und aufwendig herzustellen, zudem eignet sich TKM-Ebola nur für eine rasche Behandlung sofort nach der Ansteckung.

Es wäre also nicht sofort möglich, für alle Betroffenen genügend Medikamente bereitzustellen, zumindest nicht für alle die vollständige oder jeweils passende Auswahl. Woraus sich eine weitere Problematik ergibt: Wer bekommt welches Präparat - und warum? Das größte Vertrauen dürfte derzeit der Antikörpermix ZMapp genießen, konnte er doch drei Menschen verabreicht werden, ohne dass Probleme bekannt wurden. In Hamburg erhielt eine mutmaßliche infizierte Forscherin vor fünf Jahren einen der experimentellen Impfstoffe, die Frau überlebte. Ob sie mit Ebola infiziert war, ließ sich aufgrund der Impfwirkung nicht mehr feststellen.

Auch das wird ein grundsätzliches Problem des Noteinsatzes unerprobter Medikamente sein: Am Einzelfall lässt sich keine Wirkung nachweisen, weil auch ohne Behandlung immerhin fast jeder Zweite überlebt. Das bedeutet, dass die eine Hälfte der Patienten das Risiko für die andere tragen wird.

© SZ vom 12.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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