Psychotherapie:Schnellere Hilfe für psychisch Kranke

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Auf dem Land gibt es zu wenige Therapieplätze für psychisch kranke Menschen. (Foto: Stephan Rumpf)
  • In der Stadt gibt es zu viele Therapieplätze für psychisch Kranke, auf dem Land zu wenige.
  • Psychotherapeuten verlangen deshalb, dass die Praxen besser verteilt werden.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Vor 30 oder 40 Jahren war es noch ein Tabuthema, heute wird offen darüber geredet: Viele Menschen gehen zum Therapeuten, wenn ihre Seele krank ist. Eine Million Menschen werden deswegen pro Jahr in Deutschland ambulant behandelt, zwei Milliarden Euro zahlen die Krankenkassen jährlich für die Therapien, und das nur außerhalb von Kliniken.

Die Kassen drängen deshalb darauf, die Zahl der 24 000 Kassensitze für Psychotherapeuten zu verringern, obwohl vor allem in ländlichen Regionen schon jetzt psychisch kranke Patienten monatelang auf eine ambulante Therapie warten müssen. Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer (BPTK) sollen nach der bisherigen Bedarfsplanung sogar langfristig 4500 psychotherapeutische Praxen wegfallen. "Das wäre ein Desaster für psychisch kranke Menschen, weil sie noch länger auf eine Behandlung warten müssten", sagt BPTK-Präsident Dietrich Munz. Die Kammer hat daher nun einen Alternativplan vorgelegt. Dieser sieht vor, bei der Zulassung und Weitervergabe von Kassensitzen zu berücksichtigen, ob in einer Region mehr oder weniger Menschen psychisch erkranken. Korrekturbedarf sieht auch die Bundesregierung. Sie hatte bereits 2015 die Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenversicherung beauftragt, die psychotherapeutische Versorgung stärker am Bedarf und wohnortnäher zu gestalten.

Große Städte sind besser versorgt als nötig, auf dem Land ist es umgekehrt

Der neue Vorschlag der Therapeutenkammer stützt sich auf ein gemeinsames Gutachten des Iges-Instituts und von Professor Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin, das die Kammer mit der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gab. Darin wurden Daten des Robert-Koch-Instituts verwendet. Sie zeigen, dass das Risiko, psychisch krank zu werden, kaum davon abhängt, ob ein Mensch in der Stadt oder auf dem Land lebt. Entscheidend sind andere Faktoren: So treten psychische Erkrankungen bei über 65-Jährigen um ein Drittel seltener auf als bei unter 65-Jährigen. Frauen haben ein 1,5-fach höheres Risiko, unter einer psychischen Erkrankung zu leiden als Männer. Menschen ohne Schulabschluss sind häufiger psychisch krank als solche mit Abitur. Besonders hoch ist das Risiko für Arbeitslose.

Mit Hilfe dieser Daten wurde in dem Gutachten ein regional differenzierter Bedarfsindex ermittelt. Die Versorgung ist demnach vor allem in Großstädten überdimensioniert, während auf dem Land Praxen fehlen. Die Zahl der Kassensitze solle in etwa konstant bleiben. Die Verteilung umzustellen, würde allerdings Jahre dauern: "Ein Nachfolger für eine Praxis in der Stadt kann dann zum Beispiel im gleichen Bundesland, aber eben in einem ländlichen Gebiet, seine Praxis eröffnen", sagt Präsident Munz.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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