Medizin:Kein Stress ist auch keine Lösung

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Lebensaufgabe: Das Ausbalancieren von Stress. (Foto: Stephan Rumpf/Stephan Rumpf)

Im Gegenteil: In manchen Organismen scheint oxidativer Stress sogar den Alterungsprozess zu verlangsamen.

Glosse von Felix Hütten

Ein beliebter Klassiker aus der Kreativkiste der guten Vorsätze: Ab sofort weniger Stress! Denn er plagt uns ja irgendwie alle, der Stress. Die Welt dreht sich um einen herum auf Wiedergabe-Geschwindigkeit 1,5, und man selbst wirbelt gleich mit. Und tatsächlicher, chronischer Stress ist dann auch einer der wichtigsten Risikofaktoren für diverse Erkrankungen, von Schlaganfall über Herz-Kreislauf-Leiden, immer wieder ist ein überschnelles Leben auch Ursache für hohen Blutdruck, für Schlafprobleme und Alkoholsucht.

Oftmals wird das immer noch abgetan als Pseudo-Wehwehchen und Individualproblem einer überversorgten Wohlstandsgesellschaft. Wer gestresst ist, delegiert nur schlecht; ist halt einfach selbst schuld und nicht hart genug im Nehmen - und manchmal ist Gestresstsein sogar richtig cool, boah, wie voll der Terminkalender mal wieder ist und wie wichtig all meine Aufgaben. Die nach wie vor hohen Zahlen an psychisch Erkrankten in Deutschland sind nicht nur, aber auch Folge dieser Verharmlosung und Glorifizierung von Stress. Wer kann es sich bei so einem nur halbernsten Problem schon leisten, mal eine richtige Auszeit zu nehmen? Nur, was ist denn der richtige Umgang mit Stress?

Was kann weg? Und was kann bleiben?

Vielleicht liegt eine Antwort in dem Versuch, (seinen) Stress zunächst als Naturphänomen zu begreifen, statt ihn pauschal mit einem guten, aber wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten Neujahrswunsch zu bekämpfen.

Es hört sich fast wie eine Phrase an, aber Stress ist nicht gleich Stress, also: Was kann weg? Und was kann bleiben? Aus Sicht der Biologie jedenfalls ist Stress nicht per se ein Problem, im Gegenteil. Das menschliche vegetative Nervensystem lässt sich in verschiedene Kategorien einteilen, der Sympathikus etwa ist für die fight-or-flight-Reaktionen des Körpers essenziell. Stress ist also, zumindest in manchen Lebensmomenten, sogar notwendig für die eigene Gesundheit. Würde man ganz ohne Stress auf die Begegnung mit einem Säbelzahntiger reagieren, wäre man wohl nicht mehr lange am Leben. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass das Altern in manchen Organismen durch oxidativen Stress in den Zellen gebremst wird. Es scheint, als würde diese Form von Stress diverse Stoffwechselwege verlangsamen und die Zellen damit in eine Art Überlebensmodus leiten, was letztlich Wachstum und Verfall etwas aufhält.

Und so gibt die Biologie doch Anlass, den eigenen Neujahrswunsch etwas zu verfeinern, wirklich schädlichen Stress von sich fernzuhalten - und sich, vielleicht, sogar ganz heimlich mal zu freuen, wenn die Uhr wieder rast und noch nicht alle Aufgaben erledigt sind.

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