Weltweit wird dringend eine Alternative zu Antibiotika gesucht - und theoretisch gäbe es auch eine. Nur praktisch behindern rechtliche Rahmenbedingungen die Entwicklung eines vielversprechenden Arzneimittels: der Phagen. Obwohl die Grundlagenforschung rund um Phagen boomt, fehlen groß angelegte klinische Studien. Ein Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) legt nun nahe, warum das so ist: Es liegt laut den Experten vor allem am aktuellen Rechtsrahmen auf europäischer Ebene, der für Phagentherapie zu unflexibel sei.
Bakteriophagen, kurz Phagen genannt, sind Viren, die gezielt Bakterien angreifen und zerstören können. Bereits vor 100 Jahren wurden sie als therapeutische Option zur Bekämpfung bakterieller Infektionen, also als Alternative zu Antibiotika, erforscht und angewendet. In einigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion und in Polen wurden Phagen seitdem als Medikamente eingesetzt. In den westlichen Industrieländern wurden sie kaum noch genutzt, nachdem in den 1940er-Jahren Antibiotika verfügbar wurden.
Dabei könnten Phagen eine große Chance für die Medizin sein, da immer mehr Antibiotika wegen Resistenzen ihre Wirkung verlieren. Mit Hilfe von Phagen könnten nicht nur antibiotikaresistente Krankheitserreger bekämpft werden, sondern einzelne Antibiotikaresistenzen wieder abgebaut werden. Denn Phagen sind in der Lage, die äußere Struktur eines Bakteriums zu verändern. Dadurch kann das Bakterium wieder anfällig für bestimmte Antibiotika werden, die zuvor nicht mehr gewirkt haben. So könnten Krankheitserreger wieder für eine Antibiotika-Therapie zugänglich gemacht werden, erklärt Julia Frunzke vom Forschungszentrum Jülich.
Der rechtliche Rahmen passt nicht zu den Eigenschaften von Phagen
Zugelassene Phagenpräparate gibt es in der EU und Deutschland indes noch nicht. Aber was ist das Problem? Das TAB identifiziert mehrere Faktoren. So braucht es für die Forschung an Phagen entsprechend eingerichtete Labore sowie viel Zeit und Geld für die Entwicklung. Die Herstellung hochreiner Präparate, die den geforderten Standards entsprechen, ist teuer, und die Vorhersage des pharmakologischen Verhaltens der Phagen schwer. Zudem fehlen spezifische Qualitätskriterien auf europäischer Ebene, die für eine Zulassung unerlässlich sind.
Die Phagentherapie muss genau auf die Bakterien zugeschnitten werden, die eine Infektion auslösen. Da es sich um Bakterien mit verschiedenen Eigenschaften handeln kann, wird in der Regel ein Cocktail von verschiedenen Phagen benötigt, die schnell verfügbar sein müssen. Um wirksam zu sein, müssen diese direkt an die Stelle der Infektion kommen. Was bei Wundinfektionen möglich ist, wird bei Infektionen der inneren Organe schwierig, so Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln.
Doch langfristig müssten vor allem rechtliche Rahmenbedingungen flexibler werden, schreibt das TAB in seinem Bericht. Da sich auch gegenüber Phagen Resistenzen entwickeln, müssten Phagenpräparate ausgetauscht und verändert werden. Das würde jeweils eine neue Genehmigung erfordern. Die ist aber mit einem Aufwand verbunden, der sich ökonomisch nicht rentiere. Auch müsste jede individuell ausgerichtete Phagentherapie einzeln geprüft und zugelassen werden.
Eine künftige Möglichkeit könnte etwa die Einrichtung einer Biobank sein, in der vorab als Wirkstoff zugelassene Phagen gegen bestimmte Erreger zusammengestellt werden können. Doch so eine Vorabzulassung verschiedener Wirkstoffe ist in derzeitigen Regulierungen ebenfalls nicht vorgesehen.
Obwohl es keine Zulassung von Phagenpräparaten gibt, ist der Einsatz von ihnen unter Ausnahmebedingungen und in Einzelfällen dennoch möglich - in Deutschland etwa als individueller Heilversuch, wenn herkömmliche Medikamente nicht mehr wirksam sind. In diesen Fällen stammen die Präparate meist aus dem Ausland oder wurden von dem behandelnden Fachpersonal selbst hergestellt.
Mit Material vom Science Media Center