Organspende-Skandal:Wie es zu Organ-Schiebereien kommen konnte

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Ärzte haben Daten von Patienten gefälscht, die auf eine Organspende warten. Wer die furchtbare Lage der Kranken kennt, kann die Fälscher fast verstehen. Denn viel zu oft werden Patienten erst überredet, sich auf die Warteliste für Spenderorgane setzen zu lassen, und dann allein gelassen im kalten, schlecht kontrollierten System der modernen Transplantationsmedizin.

Sibylle Storkebaum

Die Diplompsychologin Sibylle Storkebaum, 65, betreut seit 20 Jahren Transplantationspatienten in den Münchner Universitätskliniken.

Nichts, was mit Transplantation zu tun hat, ist einfach. Alles ist Ambivalenz. Auch, was jener Göttinger Oberarzt tat, der regelwidrig Lebern verteilte, hat sterbenskranken Menschen geholfen, denn nur für solche ist die Transplantation die Therapie, die letztmögliche. Es gibt auch keine Reihenfolge auf der Warteliste, für die endgültige Zuteilung eines Spenderorgans ist letztlich der aktuelle Gesundheitsstand bedeutend.

Viele Klinikmanager allerdings scheinen sich inzwischen für Banker zu halten: Die Wirtschaftlichkeit ärztlicher Entscheidungen zählt; es bekommt Boni, wer am meisten transplantiert, operiert, kathetert, nicht, wer am sorgfältigsten prüft, ob ein Eingriff notwendig ist. Mit der winzigen Nische der Transplantationsmedizin lässt sich heute noch viel Geld verdienen. Die Pharmaindustrie und die transplantierenden Kliniken profitieren.

Da staunt man auch, dass die gemeinnützige Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), mit der Koordination der Organspende in Deutschland im Vertrauen darauf betraut, dass bei ihr das Wohl des Patienten im Zentrum stehe, Ärzten, die vorab über die Güte eines möglichen Spenderorgans entscheiden müssen, bei gleichem Aufwand für ein positives Gutachten fast das Vierfache bezahlt wie für ein negatives Votum. Ist das die Logik: Wenn nicht transplantiert wird, ist es ein "Fehleinsatz", er rechnet sich nicht? Rechnet sich bei knappen Ressourcen, wie es Organe nun einmal sind, der rasche Tod des Patienten etwa wegen eines marginalen Organs besser? So verwundert nicht, dass die Spender immer älter werden, obwohl seriöse Studien genau davor warnen.

Erst seit vergangenem Herbst gilt für Lungentransplantationen in Deutschland endlich die Benefit-Regel: Es hat Vorrang, wer das Organ am längsten nutzen kann - jüngere Menschen, Menschen mit Familie, Arbeit, Plänen für ihr Leben. Und mit weniger Begleiterkrankungen im Vorfeld.

Sonst werden eigentlich nur noch Patienten mit der Stufe höchster Dringlichkeit "high urgeny" transplantiert. Viele überleben trotzdem nicht lang, weil sie zuvor schon physisch und psychisch zu krank waren. Denn auch die Empfänger werden immer älter. Der MELD-Score, nach dem Lebern verteilt werden, steht seit seiner Einführung in Deutschland in der Kritik: Es reicht nicht die unheilbare, lebensbedrohende Erkrankung der Leber - wer überleben möchte, sollte kurz vor dem Multiorganversagen stehen. Vermutlich ereilt der Tod durch diese Auswahl viele Menschen während des Wartens auf ein neues Organ. Sterben deshalb jeden Tag drei Menschen auf der Warteliste?

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Seit Jahren wird teure Werbung für die Organspende gemacht - aber nicht adäquat aufgeklärt. Unbehagen und Spendeverweigerung vieler Deutscher gerade auch aus dem Medizinbereich sind das Ergebnis. Statt etwa durch Spots zum Verständnis des Hirntods dem Bürger die Angst zu nehmen, verkommt die grandiose, durchaus ja lebensrettende Operations- und Immunsuppressionsleistung der Mediziner zur Folie für reißerische oder verharmlosende Fernsehschmonzetten.

Wer mitbekommt, wie entsetzlich das Warten auf ein neues Organ ist, der kann sich eines Hauchs von Verständnis für ein Fälschen der Patientenwerte nicht erwehren. Menschen, die monatelang trotz Sauerstoff ständig Erstickungsanfälle haben. Menschen, deren Herz nur noch über fingerdicke Kabel zwischen ihren Herzkammern und einer brummenden Maschine von der Größe eines Kleintraktors neben dem Bett funktioniert, die Kunstherz heißt. Menschen, die nicht mehr essen können, deren Muskeln verkümmern, die ein Dutzend höchstinvasiver Katheteruntersuchungen und mehr erdulden müssen. Ihre Herzen macht das nicht stabiler, die Untersuchung aber zählt zu den Kriterien von Eurotransplant, die angeblich Verteilungsgerechtigkeit beim Organangebot schaffen.

Angehörige, die oft von weither zu den Transplantationszentren anreisen, sind überfordert von der verzweifelten Lage der Patienten. Ähnlich wie übrigens auch das Fachpersonal aus Pflege, Ärzteschaft und Psychosomatik wissen sie nicht mehr, wie sie den Überlebenswunsch des Patienten am Leben erhalten sollen. Von den finanziellen Belastungen ganz zu schweigen.

Patienten werden viel zu oft erst davon überzeugt, ja überredet, dass sie sich für eine Transplantation entscheiden sollen - und dann alleingelassen im kalten, hektischen, immer weniger für leidende Menschen geeigneten System der modernen Hightech-Medizin. Alleingelassen auch mit der Ambivalenz ihrer Wünsche. Müssen sie nicht letztlich den Tod eines Menschen, eines Spenders, herbeisehnen? Ist ein Spender auch wirklich tot? Das löst Schuldgefühle aus. Und neuere kritische Forschung zum Hirntod-Kriterium gibt durchaus Veranlassung zu Skepsis. Ambivalenz im Klinik-Alltag.

Patienten werden auch nach der Transplantation viel zu oft alleingelassen. Sie wurden zwar über die gravierenden Nebenwirkungen der Medikamente aufgeklärt, über mögliche Komplikationen und wochenlange Aufenthalte auf der Intensivstation. Aber es fehlte häufig an der nötigen Redundanz - wer will dem Kranken den letzten Mut rauben?

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Sogar die Nachsorge ist unzureichend. Da fehlen Physiotherapeuten und Psychologen, und in den Nachsorge-Ambulanzen treten ständig neue unerfahrene Assistenten an, die aufgrund der Personalverknappung in den Universitätskliniken kaum dazu kommen, die dicken Akten zu studieren. Den verunsicherten Transplantierten - die ja ihr Leben lang Kranke bleiben, von vielen Medikamenten abhängig - können sie oft nicht wirklich beratend zur Seite stehen.

Ähnlich fragwürdig ist der Umgang der Transplantationsmanager mit der seelischen Not der Patienten. Immer noch gibt es große Transplantationszentren ohne spezialisierte Psychologen. Die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer kommt auch weiterhin ohne sie aus.

Dort hat immerhin die Ethik einen Platz, deren Fachleute aber meist fern der Realität des Kranken- und Ärzte-Alltags leben. Und dass die Deutsche Transplantationsgesellschaft seit Jahren eine stumme Ethikkommission betreibt, ist ebenso ein Faktum wie die leider weitgehend arztfreie Zone der Sitzungen der Transplantationspsychologen.

Mit Transplantationen kann vielen Menschen zu einem längeren, auch besseren Leben verholfen werden. Aber es gibt Betroffene, die rückblickend sagen, sie hätten nicht zugestimmt, wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt. Sterben wäre möglicherweise einfacher gewesen. Das sagen sie den Psychologen und nicht den Demoskopen. Auch eine Ambivalenz.

© SZ vom 27.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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