Medizin:Warum Transgender-Menschen nicht mehr als krank gelten sollen

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Die Regenbogenfahne gilt als Symbol für einen liberalen Umgang mit Menschen und Geschlechtern. Auch die WHO will künftig dazu beitragen. (Foto: dpa)

In der Neuauflage des internationalen Diagnosekatalogs ist Transgender ein "sexueller Gesundheitszustand". Welche Konsequenzen hat das? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Von Felix Hütten

In der neuen Version der Krankheitsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation werden Transgendermenschen nicht mehr als psychisch krank gelten. Im zukünftigen Katalog ICD-11 wird Transsexualität unter dem Überbegriff "sexual health condition", also "sexueller Gesundheitszustand" gelistet sein - und nicht mehr wie bislang in der Rubrik der "psychischen Störungen".

Was bedeutet Transgender?

Die Weltgesundheitsorganisation verwendet in ihren englischsprachigen Publikationen den Begriff transgender, in Deutschland ist auch oft die Rede von Transsexualität. Beide Begriffe bezeichnen in der Regel Menschen, die nicht mit ihrem biologischen Geschlecht leben können oder wollen. Einige dieser Menschen entscheiden sich für eine Hormonbehandlung oder eine Operation, um äußere Geschlechtsmerkmale an ihr Empfinden anzupassen. Sie lassen sich also beispielsweise einen Penis aufbauen oder Brüste abnehmen.

Wie viele transsexuelle Menschen leben in Deutschland?

Die Zahl ist unbekannt. Einen Hinweis liefern die Änderungsverfahren nach dem Transsexuellengesetz, nach dem beispielsweise Vornamen und das bei Behörden eingetragene Geschlecht - etwa im Ausweis - geändert werden können. Insgesamt haben zwischen 1995 und 2014 knapp 17 300 Menschen dieses Verfahren durchlaufen.

Was ist das ICD- 11?

Das ICD steht für Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme und listet Tausende medizinische Diagnosen auf. Die WHO-Mitgliedsländer orientieren sich an dieser Auflistung. In Deutschland verschlüsseln Ärzte und Psychotherapeuten ihre Diagnosen nach den Codes der ICD. Die überarbeitete Version Nummer 11 dieses Systems haben Experten der Weltgesundheitsorganisation nun schon vorab online veröffentlicht. Es tritt voraussichtlich 2022 in Kraft.

Was steckt hinter der Entscheidung der WHO?

Die Experten der Weltgesundheitsorganisation begründen ihre Entscheidung mit Studien darüber, dass Transgendermenschen an einem gesellschaftlichen Stigma leiden, das zu Ausgrenzung und mitunter sogar zu Gewalt gegen sie führt. Eine im Juli 2016 erschiene Studie im Fachmagazin The Lancet Psychiatry zeigt beispielsweise, dass Ausgrenzung und Ablehnung in Familie und Berufsleben für jene Menschen äußerst belastend sind - weniger die Tatsache, eine Transgenderperson zu sein. Grundsätzlich wird in der Medizin die Frage, ob und wann ein Mensch krank ist, sehr unterschiedlich beantwortet. Ein Hinweis, dass eine Krankheit vorliegt, kann der sogenannte Leidensdruck sein. Fehlt dieser, sind Zweifel an der Zuschreibung "krank" erlaubt.

Stimmt die Behauptung, Aktivisten hätten die WHO zu dieser Entscheidung getrieben - entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse?

Tatsächlich fordern Interessensverbände die WHO seit Jahren auf, vom Zusammenhang "psychisch krank" und Transgender im ICD-11 Abstand zu nehmen. Die ICD-Koordinatorin der WHO, Lale Say sagt, dass man bei der Entscheidungsfindung auch die Stimmen der Patientengruppen berücksichtigt habe. Vor allem aber basiere die Entscheidung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die eine Expertenkommission zusammengetragen hat.

Müssen Transsexuelle nun mit einer schlechteren Versorgung rechnen?

Die meisten Transsexuellen sehen sich selbst nicht als krank und wollen sich entsprechend auch nicht "heilen" lassen. Sie fordern vielmehr medizinische und bürokratische Unterstützung, beispielsweise die Erstattung von Kosten einer Geschlechtsangleichung oder psychotherapeutische Hilfe nach Diskriminierungserlebnissen.

Da Transgender nicht aus dem ICD verschwindet, sondern lediglich in die Rubrik "sexual health conditions" wechselt, erwarte man wenig Änderungen, was den Zugang zur Gesundheitsversorgung angeht, sagt WHO-Koordination Lale Say.

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