mRNA-Impfungen:Wie viel Angst vor dem Augeninfarkt ist berechtigt?

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Impfnebenwirkungen werden heute schnell politisiert. (Foto: Christof Stache/AFP)

Gerade kursieren Nachrichten von einer schwerwiegenden Impfnebenwirkung für die Augen. Doch viel besorgniserregender ist die unseriöse Risiko-Kommunikation.

Kommentar von Christina Berndt

Die Nachricht klingt beängstigend: Das Risiko für einen Gefäßverschluss in der Netzhaut des Auges sei nach der mRNA-Impfung verdoppelt, blind könne man werden. Viele, die das hören, fragen sich jetzt, ob es richtig war, dass sie sich gegen Covid-19 impfen ließen. Und jene, die schon immer gegen die "Gen-Brühe" waren, fühlen sich bestätigt. Entsprechend hohe Wellen schlägt der "Augeninfarkt" gerade in den sozialen Medien, hochgepuscht von der Welt, die sich hier nah an Schwurbeltum und Querdenkerei bewegt.

Die Nachricht ist ein Paradebeispiel für unlauteren Medizinjournalismus. Denn was ist wirklich passiert? Tatsächlich gibt es in einer Fachzeitschrift namens npj Vaccines eine Studie, in der unter geimpften Personen 2,2-mal so viele Menschen mit einem Gefäßverschluss der Netzhaut gefunden wurden wie unter ungeimpften. Nur: Die Autoren kommen selbst zu dem Schluss, dass ihre Studie den Zusammenhang mit der Impfung keineswegs belegt und dass das Risiko für einen Gefäßverschluss im Auge in jedem Fall "extrem niedrig" sei.

Genau das ist der Punkt, der gute Risikokommunikation von schlechter unterscheidet. Es gilt abzuwägen: Wie gut ist ein etwaiges Risiko belegt? Und vor allem: Wie hoch ist es überhaupt?

Keine relativen Wahrscheinlichkeiten, sondern absolute Zahlen sind entscheidend

Eine "Verdopplung des Risikos" klingt zunächst erschreckend. Doch eine Verdopplung eines winzigen Risikos kann einem als Patient ziemlich egal sein. Seriöse Experten benutzen deshalb keine relativen Wahrscheinlichkeiten, sondern nennen absolute Zahlen. Die lauten so: Unter allen Ungeimpften erlitten in dieser Studie 752 von 740 000 Personen einen Gefäßverschluss im Auge, unter den Geimpften waren es 1506 von 740 000. Unter den knapp 100 000 doppelt mit Biontech Geimpften kam es bei 116 Personen zu einem Gefäßverschluss im Auge, unter ebenso vielen Ungeimpften waren es 107, bei Moderna waren es 106 gegenüber 75, allerdings unter nur rund 50 000 Personen in beiden Gruppen. Die mRNA-Impfstoffe schnitten also sogar besser ab als andere, weil es unter den mit diesen Vakzinen Geimpften nicht annähernd doppelt so viele Fälle gab wie unter Ungeimpften. Noch dazu gab es Unterschiede zwischen den Gruppen, die den direkten Vergleich einschränken: Unter den Geimpften gab es mehr Raucher, mehr hatten Diabetes, Übergewicht und Herzprobleme - alles Risikofaktoren für Gefäßverschlüsse, auch im Auge.

Aus all diesen Gründen empfehlen die Autoren explizit die Impfung. Trotz alldem schreibt die Welt, eine Nebenwirkung sei "dingfest" gemacht worden, "die Herkunft der Neuigkeit kann seriöser nicht sein". Tatsächlich könnte diese Behauptung kaum unseriöser sein.

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