Düsseldorf:Neues Beratungszentrum gegen Kindesmisshandlung

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern medizinisch erkennen, Beweise sichern und Ärzte beraten - dabei soll ein neues Kompetenzzentrum in Nordrhein-Westfalen helfen. "Gewalt oder Unfall?" Das sei in vielen Verdachtsfällen die Kernfrage, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag in Düsseldorf bei der Vorstellung des Projekts. Viele Kinderärzte seien unsicher, ob auffällige Befunde bereits eine Verständigung des Jugendamts rechtfertigten oder nicht.

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Düsseldorf (dpa/lnw) - Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern medizinisch erkennen, Beweise sichern und Ärzte beraten - dabei soll ein neues Kompetenzzentrum in Nordrhein-Westfalen helfen. „Gewalt oder Unfall?“ Das sei in vielen Verdachtsfällen die Kernfrage, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Dienstag in Düsseldorf bei der Vorstellung des Projekts. Viele Kinderärzte seien unsicher, ob auffällige Befunde bereits eine Verständigung des Jugendamts rechtfertigten oder nicht.

Vor allem sexueller Missbrauch von Kindern sei schwer zu erkennen, berichtet Dr. Sibylle Banaschak vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln. „Es gibt komische Befunde an Genitalen.“ Viel häufiger gebe es jedoch „keinen körperlich sehbaren Befund“. Insofern sei von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich die Rechtsmedizinerin mit Kindesmisshandlungen. Ihre Erfahrung soll sie nun als Leiterin des neuen Kompetenzzentrums einbringen. Das Konzept ist raffiniert und soll alle datenschutz- und medizinrechtlichen Klippen umschiffen: Kinderärzte und andere medizinische Akteure können sich voraussichtlich ab Ende Mai online oder telefonisch beraten lassen.

Über ein geschütztes Portal können dann Bildmaterialien und Patientendaten zur rechtsmedizinischen Beurteilung hochgeladen werden. Nach derzeitiger Rechtslage dürfen sich Ärzte über ein namentlich klar benanntes Kind nur mit Einwilligung der Eltern austauschen - daher werden die Fälle in Köln unter Pseudonym beraten.

Ähnliche Angebote gebe es bereits in Bayern, Niedersachsen und Hamburg, berichtete Banaschak. In NRW werde aber erstmals ein rechtsmedizinisches Beratungsangebot mit einem kindermedizinischen kombiniert. Diesen Teil soll die Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln übernehmen.

Ihre Aufgabe seien die chronischen, aber nicht akuten Verdachtsfälle, beschreibt die Leiterin der Medizinischen Kinderschutzambulanz, Tanja Brüning, den kindermedizinischen Teil des Beratungsprojekts. „Hämatome und Frakturen sind in der Rechtsmedizin gut zur Beurteilung aufgehoben.“ Darüber hinaus gebe es aber auch eine andere Art von Verdachtsfällen: „Ein schlechtes Bauchgefühl, wenn sich ein Kind schlecht entwickelt.“ Dahinter könne sich Vernachlässigung verbergen oder auch das Miterleben von Gewalt an anderen Familienmitgliedern.

Wenn etwa Eltern Kinder mit Knochenbrüchen vorstellten, ohne eine Erklärung dafür zu haben, müsse sich der behandelnde Arzt Fragen stellen: „Eine Fraktur ohne Geschichte? Nehmen die Eltern überhaupt wahr, was zuhause geschehen ist oder spielen sie etwas herunter? Was passiert, wenn ich das Kind entlasse?“

Das Bundeskinderschutzgesetz erlaube Ärzten, im Ausnahmefall ihre Schweigepflicht zu brechen, wenn es Hinweise auf Misshandlung oder Gefährdung von Kindern gebe, erläuterte Banaschak. „Dann können Jugendämter oder bei Lebensgefahr auch Polizei und Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden.“ Das zunächst bis 2022 mit rund zwei Millionen Euro geförderte Kompetenzzentrum solle vor allem bei einem helfen: „Vor einer Meldung so sicher zu sein wie man sein kann.“

Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden 2017 in NRW mehr als 9200 Kinder und Jugendliche Opfer einer Gewalttat. Die Jugendämter waren nach Zahlen des Statistischen Landesamts in knapp 39 500 Fällen mit Verdachtsfällen auf Gefährdung des Kindeswohls beschäftigt.

Das Jugendamt habe die Möglichkeit, Kinder für eine Untersuchung befristet in Obhut nehmen zu lassen, sagte Banaschak. Ein Alarmzeichen sei es häufig, wenn Eltern eine fotografische Dokumentation der Verletzungen ihres Kindes ablehnten, berichteten beide Ärztinnen aus ihrer Praxis. Dr. Banaschak ließ in einem Fall einen renitenten Betreuer polizeilich entfernen. „Das Kind, das wegen Ohrenschmerzen gebracht wurde, war grün und blau geschlagen.“

Mit guten oder schlechten Einkommensverhältnissen hat Kindesmisshandlung der erfahrenen Rechtsmedizinerin zufolge wenig zu tun: „Das steht den Leuten nicht auf der Stirn geschrieben. Eloquente Eltern haben bloß die besseren Erklärungsmuster.“

Trotz des Missbrauchs- und Behördenskandals von Lügde wollte Banaschak keine pauschale Jugendamtsschelte üben: „Es gibt Leute, die nicht bereit sind, Probleme wahrzunehmen“, stellt sie fest. Die gebe es aber auch in anderen Bereichen.

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