Corona-Tests:Mit der Schrotflinte

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Ein medizinischer Mitarbeiter sitzt mit Vollschutz im Coronatest-Container auf dem Werksgelände von Volkswagen. Der Konzern testet schon seit vergangenem Sommer. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Bald könnten die Corona-Testkapazitäten in Deutschland erschöpft sein, warnen Labormediziner. Doch welche Alternativen gibt es, wenn im Winter viel mehr Verdachtsfälle mit Husten und Schnupfen kommen?

Von Markus Grill, Kristiana Ludwig und Kathrin Zinkant

Nie zuvor haben sich in Deutschland so viele Menschen auf das Corona-Virus testen lassen wie in der vergangenen Woche. Etwa eine Millionen Tests haben die Labore ausgewertet, vielerorts ist die Kapazitätsgrenze überschritten. Vor allem die Testpflicht für Reiserückkehrer hat in den vergangenen Wochen zu einem enormen Anstieg der Aufträge geführt.

Während die Labormediziner also dringend einen sofortigen Kurswechsel fordern, gibt es gleichzeitig Bemühungen, das bisherige Massentesten noch auszuweiten. Im Internet wirbt zum Beispiel die "Initiative Wir Testen" dafür, dass "Coronatests für alle Schüler" einen zweiten Lockdown verhindern sollen. Prominente Unterstützer fordern, dass "jeder Mensch anlasslos, kostenlos und freiwillig getestet werden kann". Der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sagt auf der Website: "Testen muss in Zeiten von Corona so normal werden wie Zähneputzen." Betrieben wird die Webseite von der Firma Centogene GmbH, einem Anbieter von PCR-Tests auf das neue Virus.

Auch andere Interessengruppen verlangen immer mehr Tests. So forderte der niedersächsische Lehrerverband VBE regelmäßige und kostenlose Corona-Tests für das Schulpersonal. Da es in Deutschland aber rund zwölf Millionen Schüler und Lehrer gibt, würde allein diese Gruppe die wöchentlich verfügbaren Testkapazitäten um das Zehnfache übersteigen.

Es gebe bereits einen "Rückstau" von Corona-Tests, die nicht schnell genug bearbeitet werden können

Mediziner halten das für irre. "Ich kenne niemand, der das anlasslose Testen aus medizinischer Sicht für sinnvoll erachtet", sagt Michael Müller, Vorstandsvorsitzender der Akkreditierten Labore der Medizin (AML). Die im Verband zusammengeschlossenen Labore bearbeiten nach eigenen Angaben rund 85 Prozent aller Corona-Tests in Deutschland. In der vergangenen Woche wurden dort 890 000 sogenannte PCR-Analysen durchgeführt, das bislang dominante Verfahren in Deutschland zur Testung auf das neue Virus. Rechnet man dazu noch die Universitäts- und Krankenhauslabore, die nicht zu ALM gehören, liegt die Gesamtzahl der Corona-Tests in Deutschland inzwischen bei einer Million pro Woche.

"Wir haben inzwischen eine große Zahl an Laboren, die überlastet sind", sagt Labormediziner und ALM-Vorstand Jan Kramer. "Und mir graust davor aus ärztlicher Sicht." Nach Angaben von Kramer gibt es derzeit bereits einen "Rückstau" von Corona-Tests, die nicht schnell genug bearbeitet werden können. "Am Montag dieser Woche waren 25 000 Tests nicht untersucht, die sonst am Sonntagabend schon fertig gewesen wären." Das sei ein Anstieg gegenüber der Vorwoche um 93 Prozent gewesen. Denn wenn man jetzt die Zahl der Tests nicht wieder "auf ein vernünftiges Maß" herunterfahre, "dann werden wir im Herbst tatsächlich Probleme bekommen, weil dann die Lager leer sein werden, es wird keine Reagenzien mehr geben und kein ausreichendes Verbrauchsmaterial, um dann medizinisch notwendige Tests durchzuführen". Deshalb müsse man jetzt "Kapazitäten bunkern".

Könnten schnelle Antigentests eine Lösung sein? Experten sehen das bislang eher kritisch

Doch welche Alternativen gibt es? "Es wäre ein Segen, wenn wir neben dem PCR-Verfahren auch Antigentests zur Verfügung hätten", sagt Labormediziner Kramer. Diese Tests können eine Virusinfektion prinzipiell genau so früh aufspüren, wie der bisher übliche PCR-Test. Sie messen anstelle von Virus-Erbgut Eiweiße aus der Virushülle. Als Probe reicht in manchen Fällen ein Nasenabstrich. Die Tests haben zwar den Nachteil, dass sie häufiger Infektionen übersehen als die PCR, ihre Sensitivität ist geringer. Dafür sind sie aber deutlich billiger - und schneller. Das Ergebnis liegt oft schon nach 30 Minuten vor statt, wie bisher, erst nach Tagen. Experten sehen in Antigentests neben anderen Schnelltests deshalb eine gute Möglichkeit, Screenings und strategische Testungen in Gruppen vorzunehmen, etwa in Altersheimen oder Schulen. Massenausbrüche könnten so besonders schnell erkannt werden.

Doch können die Tests die diagnostische PCR ersetzen? Das sehen Fachleute kritisch und betonen eher die Chance, die PCR-Labors im Fall gezielter Gruppentestungen zu entlasten. Entsprechend plant offenbar auch die Politik. In einem Beschlussvorschlag, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang dieser Woche den Gesundheitsministerinnen und -ministern der Bundesländer vorlegte, hieß es, dass "neue, hoch-qualitative" Antigentests mittlerweile eine "hohe Sensitivität und Spezifität" erreichten. So könnte etwa bei Reiserückkehrern, die weder von einem direkten Kontakt mit Corona-Infizierten berichten können, noch Krankheitssymptome zeigen, mit einem Antigentest "eine Infektion weitestgehend ausgeschlossen werden". Wenn ein solcher Test positiv ausfalle, müssten sich die Betroffenen jedoch noch einmal einem PCR-Test unterziehen und weiter in der Quarantäne verbleiben.

Das Bundesgesundheitsministerium wolle, so heißt es in dem Schreiben, das Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR vorliegt, gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und mit dem Robert-Koch-Institut prüfen, wie es sich mit der Verfügbarkeit, der Qualität und den Einsatzmöglichkeiten der Antigentests verhält - auch als Schnelltest. Mitte September werde man den Ländern dann einen Sachstandbericht vorlegen, heißt es.

Nach zwölf Minuten soll das Ergebnis vorliegen

Erhältlich sind die Tests aber schon jetzt, etwa im Internet. So vertreibt der ehemalige Spiegel-TV-Chef Frank-Thomas Sippel einen Antigentest in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Test stammt von der koreanischen Firma Boditech, funktioniert mit einem Rachenabstrich und einem mobilen Analysegerät. Der Apparat liefert angeblich nach zwölf Minuten ein Ergebnis und soll Sippel zufolge ähnlich genau sein wie ein PCR-Test. Um das belegen zu können, prüfe der Bonner Virologe Hendrik Streeck den Test gerade in einer Studie. Eine entsprechende Anfrage von NDR, WDR und SZ dazu ließ Streeck jedoch unbeantwortet.

Obschon das Testprinzip klare Vorteile für Screenings und strategische Testungen hat, bleibt unklar, wie zuverlässig solche einzelnen Tests tatsächlich sind, sie müssten erst unabhängig validiert werden. Als Medizinprodukte niedriger Risikoklassen brauchen sie jedoch keine Zulassung, wie Maik Pommer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärt. Vor dem Verkauf brauchen sie lediglich ein CE-Zeichen, doch dies können sich die Herstellerfirmen in Eigenverantwortung selbst ausstellen. Die Europäische Kommission listet auf ihrer Webseite bereits zehn Antigentests auf, die man bereits kaufen kann.

Entscheidend könnte am Ende der Preis sein. Die Krankenkassen bezahlen bisher nur klassische PCR-Tests. Labore und Krankenhäuser bekommen dafür rund 42 Euro pro Test von den Krankenkassen erstattet, die Gesundheitsämter zahlen 50,50 Euro, die niedergelassenen Ärzte dürfen für die Abnahme der Tests pro Patient zudem einen Quartalspauschale in Rechnung stellen, die zwischen 15 und 30 Euro liegt.

Antigentests wären angesichts dieser festgesetzten Kosten deutlich günstiger. Wohl auch deshalb haben die Krankenkassen nicht grundsätzlich etwas dagegen, dass Antigentests künftig erstattet werden. Doch die Entscheidung darüber liege beim Bewertungsausschuss, einem Gremium von Ärzten und Krankenkassen. Allerdings legen die Kassen Wert darauf, dass solche Tests auch in Laboren ausgewertet werden und nicht lokal von mobilen Analysegeräten, wie Sippel sie anbietet.

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