Tiefrot und geschwollen erschien die Haut auf der Brust des Mannes. Die faustgroße Rötung saß genau über der Stelle, an der dem 60-Jährigen drei Monate zuvor ein neuer Herzschrittmacher implantiert worden war. Ärzte glaubten zunächst an eine Infektion der Wunde; doch die Laboruntersuchungen sprachen nicht für diese Vermutung. Am Ende fanden Münchner Fachärzte eine Erklärung, die selbst für Spezialisten nicht alltäglich ist: Nickel hatte sich aus den Schraubverbindungen des Schrittmachers gelöst - und bei dem Patienten eine allergische Reaktion ausgelöst. Als die Haut des Mannes immer stärker reagierte, musste der Herzschrittmacher entfernt und gegen ein anderes Fabrikat ausgetauscht werden. Die Beschwerden verschwanden.
Millionen Deutsche tragen Fremdmaterialien in ihrem Körper, und längst nicht immer toleriert der Organismus diese Stoffe. Für die Patienten kann dies bitter sein. Das Implantat, das ihre Beschwerden lindern sollte, verursacht nun weiteres Leiden, weitere Sorgen und sehr häufig neue, langwierige Untersuchungen. Denn die Ursachen der Implantat-Unverträglichkeit können vielfältig sein.
Geschichte der Implantate:Gewagte Einsätze
Zähne aus Muscheln, Gelenke aus Elfenbein, Herzschrittmacher, die nur wenige Stunden lang funktionieren: Seit Jahrhunderten experimentieren Menschen mit künstlichen Körperteilen.
Es kann - wie bei dem Patienten mit dem neuen Herzschrittmacher - eine Allergie hinter den Beschwerden stecken, erläutert Peter Thomas. Der Dermatologe leitet am Klinikum der Universität München die deutschlandweit einzige Spezialsprechstunde für Patienten, deren Implantate Probleme bereiten. Seine Patienten reagieren vor allem auf Nickel, Kobalt oder Chrom. Diese Metalle stecken beispielsweise in Zahnimplantaten, in Nägeln, mit denen gebrochene Knochen zusammengefügt werden, oder in Stents, die verengte Blutgefäße offen halten sollen.
"Wir sehen auch Patienten, bei denen bereits das dritte Kniegelenk eingesetzt wurde, die Ursache für ihre Probleme sich aber erst bei uns herausstellt", sagt Thomas. Es zeigt sich dann, dass diese Menschen auf die Metalle im Implantat oder Bestandteile des Knochenzements reagieren, der die Gelenkprothesen mit dem Knochen verbindet.
In einer Zeit, da viele Menschen überzeugt sind, an einer Allergie zu leiden, hört sich dies bedrohlich an: ein Allergen, tief im Körperinneren verankert. Sollte man dies nicht um jeden Preis verhindern? Ist eine Allergie bekannt, kann der Arzt auf allergenfreie oder speziell beschichtete Implantate zurückgreifen. "Laut einer deutschlandweiten Umfrage setzen drei Viertel der Orthopäden bei bekannter Metallallergie ein Alternativpräparat ein", sagt Thomas.
Einen prophylaktischen Allergietest auf alle möglichen, potenziell problematischen Stoffe hielten die Experten des SZ-Gesundheitsforums dagegen nicht für sinnvoll. "Allergietests messen die Reaktion der Haut. Ob das Allergen die gleiche Wirkung auch in Geweben im Körperinneren auslöst, können sie nicht vorhersagen", erläutert Peter Thomas. Tatsächlich gibt es viele Allergiker, die auch Implantate mit allergenen Bestandteilen gut vertragen. Und letztlich gilt, wie auch bei vielen Nahrungsmitteln und Umweltchemikalien: Längst nicht hinter jeder Unverträglichkeitsreaktion steckt eine Allergie.
Die typischen Symptome wie Rötung, Schwellung oder Schmerz können auch durch eine Infektion hervorgerufen werden. Etwa ein Prozent aller Patienten, die ein künstliches Knie oder Hüftgelenk bekommen, müssen mit dieser Komplikation rechnen.
Gelangen während der Operation Bakterien auf das Implantat, beginnt im Körper der Patienten ein mikrobiologisches Wettrennen. Bakterien und körpereigene Zellen machen sich auf den Weg, den freien Platz auf dem Implantat zu besiedeln. Kommen die Zellen als erste ans Ziel, integrieren sie das Fremdmaterial. Siegen dagegen die Bakterien, kann es gefährlich werden. Die Mikroorganismen heften sich an die Implantatoberfläche und umgeben sich mit einem undurchdringlichen Biofilm. "Der Biofilm ist das Fort Knox der Bakterien", sagt Hans Gollwitzer, Orthopäde an der TU München. An dieser Hülle prallen Zellen des Immunsystems ebenso ab wie Antibiotika. Die Bakterien vermehren sich ungestört, bis sie - oft erst Monate nach der Operation - in größerer Menge freigesetzt werden und eine Infektion an der Operationsstelle auslösen.
Orthopädie:Keime im Kunstgelenk
Künstliche Gelenke bergen die Gefahr gefährlicher Infektionen. Ein neuer Test könnte helfen. Der Irrwitz des Gesundheitswesens verhindert, dass er auf breiter Basis eingesetzt wird.
Besonders problematisch wird es, wenn die Bakterien multiresistent sind; dann bleiben die gängigen Antibiotika gegen die Infektion wirkungslos. "Meist muss bei einer Infektion das Implantat ausgetauscht und infiziertes Gewebe entfernt werden", sagt Gollwitzer. Oft ist der Nachweis der Infektion schwierig und verlangt mehrere unterschiedliche Testmethoden. Die zuverlässigsten Ergebnisse liefert eine Punktion oder Biopsie des betroffenen Gewebes. Absolute Sicherheit erhalten Ärzte erst, wenn sie das Implantat entfernen und untersuchen.
Doch auch ohne den Einfluss von Allergenen oder Keimen kann das Implantat Komplikationen verursachen. "Prothesen sind Verschleißteile", erläutert Volkmar Jansson, Direktor der Orthopädischen Klinik der LMU. Permanent lösen sich kleinste Partikel aus den künstlichen Gelenken. Bestehen Prothesen aus dem Kunststoff Polyethylen, können sich mit jedem Schritt 500 000 winzige Teilchen abreiben. Das Immunsystem kann diese Teilchenschwemme für einen Großangriff gefährlicher Eindringlinge halten und sie seinerseits mit einer massiven Offensive bekämpfen: einer Entzündung. Die Entzündungsreaktion kann sich schließlich gegen den eigenen Knochen richten. Es kommt zum Knochenschwund rund um die Prothese; das Implantat lockert sich. Der Patient spürt zunehmend Schmerzen bei Belastung des Gelenks.
Wie viele Partikel abgerieben werden, hängt vom Implantattyp, aber auch vom Geschick des Chirurgen ab, sagt Jan Philippe Kretzer, Biomechaniker der Universität Heidelberg. Ein erfahrener Chirurg passt die zwei Bestandteile des Gelenks so ineinander, dass sie genau das richtige Spiel haben und die Gelenkflüssigkeit wie ein Schmierfilm zwischen ihnen wirkt. Sitzen die Teile nicht optimal, entsteht größere Reibung, und mehr Partikel schmirgeln sich ab. "Je erfahrener der Operateur, desto seltener kommt es zu solchen Fehlpositionen", sagt Kretzer. Es kann sich daher lohnen, die Operation in einem spezialisierten Zentrum vornehmen zu lassen. Patienten finden solche Einrichtungen unter www.endocert.de.
Patienten können auch nach dem Eingriff dazu beitragen, den Abrieb möglichst gering zu halten. In Studien konnte gezeigt werden, dass die Prothesen bei jenen Menschen länger halten, die moderat aktiv sind. Allerdings empfiehlt der Orthopäde Jansson nicht jede Aktivität: "Joggen ist als regelmäßige Betätigung für Menschen mit Knieprothesen ungeeignet." Schätzungen zufolge lastet bei dieser Aktivität ungefähr das Neunfache des Körpergewichts auf dem Kniegelenk. Beim Gehen in Schrittgeschwindigkeit beträgt die Last nur das Zweifache, beim schnellen Gehen das Dreifache des Körpergewichts. Auch Stolpern belastet Gelenke stark. Stürze können zusätzlich zu Knochenbrüchen im Umfeld der Prothese führen. Deshalb sind gerade für ältere Patienten auch solche Übungen empfehlenswert, die Koordination und Gleichgewicht erhalten.
Doch bei allen Bemühungen müssen Patienten wissen, so Jansson: "Die Implantation ist der Beginn der Lockerung." Wie fest die Prothese sitzt, sollte daher etwa alle zwei Jahre durch eine Röntgenaufnahme kontrolliert werden - auch wenn ihr Träger noch keinerlei Beschwerden spürt. Vom zehnten Jahr an ist dies besonders wichtig. Wird die Lockerung rechtzeitig erkannt, müssen die Orthopäden unter Umständen nicht das ganze Gelenk austauschen. Es genügt dann, Einzelteile auszuwechseln.
Grundsätzlich brauchen Patienten mit neuen Gelenkprothesen Geduld. Es kann mehrere Monate dauern, bis der Organismus sich an den Fremdkörper gewöhnt hat. Dann aber haben die meisten Patienten sehr viel Lebensqualität hinzugewonnen.