Arthrose:Die Crux mit den Kunstgelenken

Arthrose

Bei beginnender Arthrose helfen Sport und Bewegung gut.

(Foto: Illustration: Sead Mujic)

Hunderttausende Implantate werden jährlich in die Hüften und Knie der Deutschen eingesetzt. Vielleicht zu viele. Nur: Was sind die Alternativen?

Von Berit Uhlmann

Der einstige Fußballweltmeister schaffte es kaum noch, in seinem Schreibwarenladen auf einen Hocker zu steigen. "Es war kein Sitzen, kein Liegen und kein Stehen mehr möglich", erzählt Georg Schwarzenbeck auf den Internetseiten der Deutschen Arthrose-Hilfe. Schließlich schleppte er seine schmerzende Hüfte zum Arzt. Der Mediziner ließ das Gelenk röntgen, dann war sein Urteil klar: "Schauen Sie her, das sieht man sogar als Laie, dass da kein Knorpel mehr ist", kommentierte er die Aufnahme. Im Hüftgelenk des ehemaligen Spitzensportlers rieb Knochen auf Knochen.

Arthrose nennen Mediziner die Abnutzung der schützenden Knorpelschicht, die zunehmend Schmerzen, manchmal auch Steifheit, Schwellungen und ein unangenehmes Knirschen im Gelenk verursacht. Für etliche Betroffene lautet die Konsequenz: Ein künstliches Gelenk muss eingesetzt werden. Das war bei Georg Schwarzenbeck nicht anders.

"200 000 Hüftgelenke und 130 000 Kniegelenke werden in Deutschland jährlich implantiert", sagt Volkmar Jansson, Direktor der Klinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation an der LMU: "Das sind hohe Zahlen, vielleicht zu hohe Zahlen." Längst ist vom OP-Weltmeister Deutschland die Rede. Die Diskussion darüber, ob zu viele Eingriffe vorgenommen werden, verunsichert auch die Patienten. Sie quälen sich nun nicht nur mit Schmerzen, sondern auch mit Zweifeln: Ist der Eingriff wirklich nötig? Und: Welche anderen Möglichkeiten habe ich denn? Antworten gaben Experten auf einem Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung.

Die Experten des Gesundheitsforums

Professor Dr. Rüdiger von Eisenhart-Rothe, Direktor der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar

Professor Dr. Volkmar Jansson, Direktor der Klinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation, LMU

Privatdozent Dr.-Ing. Thomas Grupp, Director R&D Application Orthopaedics / Orthopaedic Research, Aesculap AG, Tuttlingen

Privatdozent Dr. Jörg Hausdorf, Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation, LMU

Privatdozent Dr. Eduard Kraft, Leitung der interdisziplinären Schmerzambulanz und Tagesklinik Großhadern, LMU

Professor Dr. Peter Müller, Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitation, LMU

Dabei stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit des Kunstgelenks für Patienten mit Kniearthrose besonders drängend. Denn etwa zehn bis 20 Prozent der Patienten sind mit dem Ergebnis der Operation unglücklich. Zum Vergleich: Mit einem neuen Hüftgelenk sind 95 Prozent der Operierten zufrieden.

Das Knie ist komplizierter aufgebaut als die Hüfte, denn die Kniescheibe und die Bänder, die das Gelenk stabilisieren, müssen berücksichtigt werden. Nun muss man sich die Operation nicht so vorstellen, dass das gesamte Knie herausgenommen und ein Nachbau eingesetzt wird. Vielmehr werden nur die geschädigten Gelenkoberflächen ersetzt. "Aber genau das ist das Problem", sagt Jansson. "Denn dadurch, dass der natürliche Bandapparat erhalten werden soll, muss das Implantat diesem Apparat genau angepasst werden. Je kleiner das Implantat, desto schwieriger ist die operative Umsetzung", sagt der Mediziner.

Es kann passieren, dass das Gelenk nach der Operation nicht mehr so beweglich ist wie zuvor; für manche Patienten fühlt es sich wie ein Fremdkörper an, einige von ihnen können noch immer Schmerzen haben. "Gerade die Kniescheibe ist dabei unser Sorgenkind", sagt der Münchner Orthopäde Peter Müller. "Die Patienten müssen auf diese Möglichkeit vorbereitet sein, denn die Unzufriedenheit geht zum Teil auch auf unrealistische Erwartungen zurück."

Begrenzte Haltbarkeit und Infektionen: Die Risiken der Implantate

Und selbst wenn die Prothesen perfekt passen: Sie sind nicht unbegrenzt haltbar. Knie- wie Hüftimplantate lockern sich häufig nach spätestens 15 Jahren und müssen ausgewechselt werden. Dabei geht Knochen verloren. Damit die neuen Implantate sicher verankert werden können, brauchen sie nun längere Stiele. Und wann immer Chirurgen den Körper öffnen, setzen sie den Patienten weiteren Risiken aus.

So können selbst bei optimaler Hygiene Infektionen nicht immer vermieden werden. Die Schnitte, die der Chirurg an Hüfte oder Knie setzt, sind in den meisten Fällen groß, Keime haben entsprechende Eintrittspforten. Die Stoffe, die das Immunsystem zur Abwehr bereitstellt, kommen nur eingeschränkt am Einsatzort an, da die Blutzufuhr zur Wunde während der Operation gedrosselt wird. Bei etwa einem Prozent der offenen Eingriffe an Hüfte und Knie kommt es zu einer Infektion, im ungünstigen Fall muss dann noch einmal operiert werden.

Letztlich gilt, so Jansson: "Das beste Kunstgelenk ist das, das man nicht einsetzen muss." Doch wirksame Alternativen gibt es - anders als manche Heilsversprechen glauben machen - nicht all zu viele. Sie wirken auch nur dann gut, wenn sie frühzeitig erfolgen. So können beispielsweise stärkere X- oder O-Beine korrigiert werden, damit die Fehlstellung nicht zu einer ungleichmäßigen Belastung des Knorpels führt. Die sogenannte Umstellungsoperation justiert das Kniegelenk neu. Ein ähnlicher Korrektureingriff ist bei Fehlstellungen der Hüfte möglich. "Beides sind häufig größere Eingriffe, mit entsprechenden Risiken, sie erhalten jedoch das Gelenk", sagt Jörg Hausdorf von der LMU.

Kleinere Schäden am Knorpel, wie sie durch Verletzungen entstehen, können durch eine Knorpelzelltransplantation behandelt werden. Dazu wird Knorpelgewebe entnommen, aus dem dann neue Zellen gezüchtet und dem Patienten anschließend wieder eingesetzt werden. Bei großflächigen Abnutzungen funktioniert das Verfahren allerdings nicht.

Im frühen Stadium der Arthrose helfen dagegen auch einfachere Maßnahmen. Wer übergewichtig ist, reduziert den Druck auf die Gelenke durch Abnehmen. Die Gelenke müssen Tag für Tag enorme Belastungen aushalten. "Beim Gehen wirkt eine Kraft auf das Kniegelenk, die etwa dem dreifachen Körpergewicht entspricht", nennt der Biomechaniker Thomas Grupp als Beispiel. Beim Treppensteigen liegt der Wert noch höher. Jedes zusätzliche Kilo verstärkt die Gelenkprobleme.

Doch auch unabhängig vom Gewicht sind Bewegung und Physiotherapie für Arthrose-Patienten hilfreich. Leichtere Beschwerden lassen sich durch Sportarten wie Nordic Walking, Tai Chi, Qi Gong oder Yoga lindern. Bei stärkeren Schmerzen sind Wassersportarten empfehlenswert, sagt der Münchner Schmerztherapeut Eduard Kraft. Die Wirkung der Bewegungstherapie ist ähnlich groß wie die von gängigen Rheumaschmerzmitteln. Sie bewirkt zwar keine Heilung, kann aber die Operation um immerhin zwei bis drei Jahre hinauszögern.

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