Medizin:Universal-Blut aus dem Labor?

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Blutkonserven sind ein kostbares Gut. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Ein Enzym-Cocktail soll die Blutgruppen A und B in 0 verwandeln - das würde die Versorgung mit Spenderblut deutlich verbessern. Doch Experten sehen ungelöste Probleme.

Von Hanno Charisius

Bekommt ein Patient eine Blutkonserve, die nicht zu seinem Bluttyp passt, kann das Blut verklumpen, das ist lebensbedrohlich. Doch es gibt eine Blutsorte, die von den meisten Menschen vertragen wird, die Blutgruppe mit der Bezeichnung 0 ("Null"). Im Fachblatt Nature Microbiology beschreibt jetzt eine Gruppe um den Biotechnologen Maher Abou Hachem von der Technischen Universität von Dänemark in Lyngby, es sei mit einem Mix aus bakteriellen Enzymen gelungen, Blutproben der Gruppen A oder B in die universelle Blutgruppe 0 zu verwandeln. Dies könne die Spenderblut-Logistik vereinfachen, schreibt das Team.

In den Blutbanken herrscht chronischer Mangel. Insbesondere Blut der Blutgruppe Null, das immer dann verabreicht wird, wenn jemand mit unbekanntem Bluttyp schnell behandelt werden muss, ist knapp. Insofern wäre eine Methode, um aus den eingeschränkt nutzbaren Blutgruppen die universell einsetzbare zu machen, eine große Hilfe. Doch so weit sei das Verfahren noch längst nicht, betonen Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren. "Die Studie ist nach meiner Meinung von rein akademischer Natur", sagt Thilo Bartolmäs, Facharzt für Transfusionsmedizin und Leiter der Qualitätskontrolle der Blutspende an der Charité in Berlin.

Ganz neu ist die Idee von der universellen Blutgruppe dank Enzymbehandlung nicht. Auch andere Arbeitsgruppen haben sich bereits an einer Umwandlung versucht. Es gibt mehr als drei Dutzend verschiedene Systeme, um Blut verschiedener Menschen zu klassifizieren. Das AB0-System, ursprünglich von dem österreichischen Hämatologen Karl Landsteiner um 1900 entwickelt, ist im klinischen Alltag neben der Rhesus-Klassifizierung das wichtigste. Auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen ragen Zuckerreste hervor; je nach Zusammensetzung dieser biochemischen Antennen sind die Blutgruppen miteinander kompatibel oder nicht. Werden zum Beispiel A und B vermischt, verklumpen sie. Blut der Blutgruppe 0 hat diese problematischen Anhängsel nicht, weshalb man sie Menschen mit den Blutgruppen A, B und AB verabreichen kann.

Unklar ist zum Beispiel, wie lange die behandelten Blutkörperchen überleben

Die Gruppe um Hachem hat sich im menschlichen Darm auf die Suche nach Enzymen gemacht, die in der Lage sind, die Zuckerreste gleichsam abzurasieren. Im Verdauungstrakt leben Bakterien, die sich von Schleim ernähren, der aus ähnlichen Zuckermolekülen besteht wie die Anhängsel der roten Blutkörperchen. Bei der Mikrobe Akkermansia muciniphila wurde das Team fündig: Das Bakterium produziert Enzyme, die solche Zuckerverbindungen verdauen können. Mit diesen Enzymen behandelte Blutproben der Gruppen A und B verklumpten nicht mehr, wenn sie miteinander vermischt wurden.

Für den Einsatz im Klinikalltag hat diese Entdeckung jedoch noch keine Relevanz. Unklar ist zum Beispiel, wie lange so behandelte Blutkörperchen überleben und ob die Reste der abrasierten Zuckermoleküle nicht in Konflikt mit dem Immunsystem des Empfängers einer solchen Blutspende geraten könnten. Dass dies kein theoretisches Problem ist, zeigen Daten aus der neuen Studie. Einige Plasmaproben reagierten im Labortest unerwartet mit den behandelten Blutkörperchen. Die Ursache müsse ermittelt werden, "bevor die Methode universell einsetzbar ist", sagt Gregor Bein, Direktor des Instituts für Klinische Immunologie, Transfusionsmedizin und Hämostaseologie der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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Auch könnte sich durch die Veränderungen an den Zelloberflächen die Ladungsverteilung dort verändern und das Blut deshalb anders strömen als gewohnt. Insbesondere in den kleinsten Blutgefäßen könnte das zu Problemen führen. "All das lässt sich nur in Tierversuchen und letztendlich dann in klinischen Studien bei Patienten untersuchen", sagt Markus Müller, Oberarzt und Abteilungsleiter Blutspende am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg.

Die neue Studie lässt zudem offen, wie gut der Ansatz bei größeren Blutmengen funktioniert, ob auch dann die Enzyme alle Zuckerreste verdauen, wenn sie in 250 Millilitern funktionieren müssen und nicht nur in Reaktionsansätzen von 100 Mikrolitern im Labor. Und schließlich bereitet der Gedanke, einen Blutbeutel zu öffnen, um Enzyme hineinzumischen, Transfusionsmedizinern Unbehagen.

"Wir arbeiten seit Jahren und Jahrzehnten im geschlossenen System, um bakterielle Kontaminationen zu vermeiden, und sind dabei sehr erfolgreich", sagt Markus Müller. "Eine Zugabe 'nicht menschlicher' Enzyme zu einem Blutprodukt könnte zu lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen beim Transfusionsempfänger führen." Dies bedinge, dass man die Enzyme und gegebenenfalls auch die Verdauungsprodukte hinterher aus dem Blutbeutel entfernen müsse. Doch dieser Waschvorgang sei wiederum schädlich für das Blutprodukt, "damit würden wir uns mit dem Vorteil der AB0-Universalität gegebenenfalls Nachteile hinsichtlich der Qualität und Überlebenszeit der Erythrozyten einkaufen", so Müller.

Mit Material des Science Media Center.

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