Reden wir über Geld: Matthias Reim:"Die fanden, ich sehe für'n Arsch aus"

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Erst zündete er sich eine Zigarette an, dann schmiss er seinen Manager raus: Wie der Sänger Matthias Reim den größten deutschen Hit der neunziger Jahre schrieb, pleiteging - und wie es ist, einfach mal alle Vernunft bleiben zu lassen.

O. Bilger u. H. Wilhelm

"Verdammt, ich lieb dich" - mit diesem Lied wurde Matthias Reim über Nacht berühmt. 20 Jahre später sieht der 53-Jährige müde und etwas knittrig aus. Neun Uhr früh sei auch nicht so seine Zeit, sagt er. Und sowieso, er hat ja auch eine Menge hinter sich. Der Schlagersänger war ganz oben und dann ziemlich lange ganz tief unten. Pleite. Er hat nun ein Buch darüber geschrieben, das originellerweise "Verdammt, ich leb noch" heißt. Zeit, für ein Gespräch. Trotz der frühen Stunde.

Ein Lied machte Schlagersänger Matthias Reim zum Millionär - sein Manager machte ihn zum Millionenschuldner. (Foto: dpa)

SZ: Matthias Reim, reden wir über Geld. Sie haben den größten deutschen Hit der neunziger Jahre geschrieben und waren trotzdem bald danach pleite. Wie geht das denn?

Reim: Tja. Ich hatte tatsächlich 13 Millionen Euro Schulden.

SZ: Uff. Und wie ist das passiert?

Reim: Mein damaliger Manager verwaltete alles für mich. Ich habe ihm dummerweise vertraut. Er hat in meinem Namen eine Firma nach der anderen gegründet und alles ging schief. Immobilien im Osten, eine Imbissbude, eine Dachdeckerfirma, einen Autohandel, eine Computerkette. Er dachte, er könnte alles. Dabei war er einfach total überfordert. Ich hatte keine Ahnung, wie es wirklich steht. Ich wollte es auch nicht wissen. Aber ich hab geahnt, dass was falsch läuft.

SZ: Was denn?

Reim: Ich habe mich 2001 mit meinem Steuerberater und dem Manager zusammengesetzt und ihn gefragt, was denn nun Sache sei. Ich rechnete mit einer Million Schulden - und das war schon eine albtraummäßige Vorstellung! Man stelle sich vor: 13 Millionen! Ich habe mir eine Zigarette angezündet. Und dann habe ich meinen Manager rausgeschmissen. Ich wollte ihn nie wieder sehen. Das war's. Over.

SZ: Was hat Ihre damalige Freundin gesagt, die Schlagersängerin Michelle?

Reim: Die hat mich angelächelt und gesagt: "Deine Zeit ist vorbei. Macht nichts, ich kümmere mich um dich."

SZ: Das ist doch nett.

Reim: Hallo? Das geht gegen sämtliche Macho-Prinzipien meines Lebens. Ich verdiene das Geld. Die Beziehung ging dann auch in den Eimer.

SZ: Das, was Sie mal hatten, haben Sie mit nur einem Lied verdient.

Reim: "Verdammt, ich lieb dich". Geschrieben am 25. November 1989, da war ich Anfang 30. Zwei Stunden habe ich dafür gebraucht.

SZ: Bis zu dem Zeitpunkt hatten Sie sich finanziell eher so durchgemogelt.

Reim: Es wirft einen keiner mit Geld zu, wenn man sich entscheidet, Musiker zu werden. Aber es war schon okay. Ich hatte ein paar Kunden aus der Werbung, für die ich regelmäßig Musik schrieb. Damit konnte ich meine Miete zahlen und die Reparaturen für den alten Ford Sierra. Ich hatte immer so zwischen 3000 und 6000 Mark im Monat.

SZ: Nicht schlecht.

Reim: Das reichte für ein kleines Reihenhaus am Stadtrand von Göttingen.

SZ: In dem Sie saßen, als Sie "Verdammt, ich lieb dich" schrieben?

Reim: Ja, mutterseelenalleine. Ein verschissener verregneter Novemberabend. Mir hatte gerade ein Produzent am Telefon gesagt, dass er meine Lieder nicht produzieren würde. Er sagte, diesen "Verdammt, ich lieb dich, ich lieb dich nicht"-Kram, den könne er nicht mehr ertragen. Ich war so frustriert. Und dann hab ich mit den Worten gespielt, die ich noch im Ohr hatte. Der Text war innerhalb von zehn Minuten erledigt. Ich meine, was willst du da anderes schreiben bei "Verdammt, ich lieb dich, ich lieb dich nicht"? Da kann es nur weitergehen mit "Verdammt, ich brauch' dich, ich brauch' dich nicht. Verdammt, ich will dich, ich will dich nicht, ich will dich nicht verlieren."

SZ: Und es wurde der meistverkaufte deutschsprachige Titel der Neunziger.

Reim: Erst belegte ich Platz 82 in den Charts, dann Platz 35, Platz 12, Platz 5, Platz 1. Für 16 Wochen Platz 1. Ich! Ein Nobody aus einer Provinzstadt. Es war übrigens mal kurz im Gespräch, dass Jürgen Drews den Song einsingt, die Plattenfirma fand, ich sehe für'n Arsch aus und habe keine Ausstrahlung.

SZ: Wussten Sie: Platz 1 bringt mir Geld?

Reim: Ich habe täglich bis zu 70.000 Platten verkauft. Ich habe immer so eine Mark pro Stück gerechnet für mich. Das heißt: 70.000 Mark. Am Tag! Über Steuern und Abgaben hab ich natürlich nicht nachgedacht. Ich hab mir einen gebrauchten 500er Mercedes SL für 35.000 Mark gekauft. Für einen neuen war ich zu sparsam. Ich finde das weiterhin okay: Wenn man in einem halben Jahr zwei Millionen Mark verdient, dann darf man sich ein Auto für 35.000 Mark gönnen. Sich zu belohnen ist gut für die Seele. Machen Sie das auch, unbedingt!

SZ: Und den Rest des Geldes?

Reim: Gab ich meinem Manager zum Anlegen.

SZ: Ach, kommen Sie, ein bisschen gelebt werden Sie schon haben.

Reim: Du kannst ja nicht völlig normal bleiben, wenn du über Nacht zum Superstar wirst. Du hast dann ein Recht auf ein gutes Leben, das hat dir ja der Himmel auch geschenkt.

SZ: Will heißen?

Reim: Ich hab mir ein Boot gekauft, bin durch Amerika gereist und hab mir in Florida ein Haus gekauft. War herrlich. Mal alle Vernunft bleiben lassen.

SZ: Das denken wir uns schon.

Reim: Ich hatte dann das König Midas-Syndrom. Ich dachte, alles, was ich anfasse, wird zu Gold. Das kommt zwangsläufig. Man hat nur noch Fans und Jasager um sich und die Bravo ruft jeden Tag an. Irgendwann glaubst du denen, dass du der Größte bist.

SZ: Mögen Sie das Lied, dem Sie Ihren Erfolg verdanken?

Reim: Ganz ehrlich, es ist nicht sonderlich gut produziert. Aber es ist das Schönste, Größte, Beste, was mir passieren konnte. Wenn der Euro jetzt stirbt und nichts mehr geht, dann gehe ich mit meiner Akustikgitarre an ein Lagerfeuer, an dem ein paar Überlebende hocken, und sage: "Ich spiele euch ,Verdammt, ich lieb dich', wenn ich dafür ein Bier und Würstchen bekomme." Das wird klappen, ich schwöre es.

SZ: 13 Millionen Euro Schulden. Wie war das?

Reim: Die Medien berichteten, ich würde von Gerichtsvollziehern gejagt. Es wurde eine Weltkarte im Fernsehen gezeigt: "Matthias Reim wird in Polen vermutet oder er ist in Spanien, Portugal oder Südamerika untergetaucht." Dabei hatte ich gerade noch vor meinem Haus in Hamburg mit dem Journalisten gesprochen. Ich konnte damit nicht umgehen, dass ich kriminalisiert wurde. Ich hatte nichts Böses getan, nur dem Falschen vertraut.

SZ: Sie haben dann jahrelang mit den Schulden gelebt.

Reim: Ja. Ohne Perspektive. Irgendwann saß ich an einem mittelschönen Frühlingstag am Strand von Ibiza, und ein Mann gab mir ein Bier aus. Er war Anwalt, hatte von meinen Schulden in der Zeitung gelesen und sagt: "Mach' Privatinsolvenz, dann biste das Ding in drei, vier Jahren los." Das habe ich dann auch gemacht und mit den Banken einen Vergleich ausgehandelt. Dreieinhalb Jahre wurde alles, was ich verdiente, einbehalten. Außerdem ist mein Bruder mit einer halben Million für mich eingesprungen. So habe ich einen großen Teil der Schulden abbezahlt. Seit einem halben Jahr bin ich schuldenfrei. Seitdem bin ich gefühlt zwei Zentimeter größer. Und ich bekomme endlich wieder meine Tantiemen für meine ganzen Lieder. Das ist eigentlich genug, um davon zu leben.

SZ: Nett von Ihrem Bruder, das mit der halben Million.

Reim: Er hat mir schon immer ausgeholfen. Wenn ich als Jugendlicher mal Zigaretten brauchte oder Bier, dann habe ich mir bei ihm was aus der Kasse genommen und auf einem Zettel notiert: "Matthias: minus sechs Mark." (lacht) Das war eine lange Liste. Ich weiß gar nicht, ob ich das jemals zurückgezahlt habe.

SZ: Das ist jetzt ja auch egal. Ist es Ihnen nicht unangenehm, Ihrem Bruder so viel zu schulden?

Reim: Ich weiß es nicht. Ich hätte es gerne vermieden. Aber wir haben ein gutes Verhältnis. Er kommt ab und an zu meinen Konzerten, steht dann hinter der Bühne mit 'nem Bier in der Hand und freut sich und bricht mal aus seinem seriösen Bankerleben aus.

SZ: Was haben Sie eigentlich aus der Sache gelernt?

Reim: Das Leben trotzdem zu genießen. Ach Mist, ich wollte das Geld doch nur ehrlich anlegen. Ich habe mir nicht Ferraris gekauft oder gekokst oder mit Weibern rumgemacht. Dann könnte ich wenigstens sagen, ich habe richtig gelebt.

SZ: Mist!

Reim: (lacht) Ja. Egal, jetzt geht ja eh die Welt unter, zumindest der Euro.

SZ: Dann sehen wir uns halt am Lagerfeuer.

Reim: Eben. Mir kann nichts passieren. Und ich hab auch kein Geld mehr auf der Bank, das dann wertlos ist.

© SZ vom 28.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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