Wie können Banken gebändigt werden? Seit der Finanzkrise ringen die Politiker um eine Lösung - und stecken in einem ungewöhnlichen Dilemma: Die einzigen Experten, die Bescheid wissen, sitzen in den Banken. Die Antworten und Vorschläge, die die Parlamentarier bekommen, sind entsprechend von den Interessen der Branche geleitet. Unabhängige Expertise? Gibt es nicht! Darum haben sich einige Parlamentarier zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Sie fordern öffentlich eine Organisation, die ein Gegengewicht zur übermächtigen Banklobby bilden könnte. Das Besondere ist, dass Vertreter aller Parteien das Vorhaben unterstützen. Einer von ihnen ist Sven Giegold, Mitgründer des Sozialnetzwerks Attac Deutschland. Er sitzt mittlerweile für die Grünen im EU-Parlament.
Sven Giegold: "Es ist kein Aufruf gegen Lobbyismus, sondern das Kräfteverhältnis zwischen gemeinwohlorientierten Lobbyisten und geschäftlichen Interessengruppen muss stimmen. Derzeit vertreten Banken und Versicherungen ihre Anliegen ohne Widerspruch."
(Foto: ap)sueddeutsche.de: EU-Parlamentarier fühlen sich der Bankenlobby ausgeliefert - ist das die Kapitulation der Politik vor der Übermacht der Bankindustrie?
Sven Giegold: Die Politik hat nach wie vor genügend Macht. Die Regeln auf den Finanzmärkten werden von der Politik geschrieben. Aber um gute Regeln setzen zu können, braucht man ein vernüftiges Kräfteverhältnis. Zu Themen wie Umwelt, Entwicklung oder Gesundheit gibt es starkes progressives, gemeinwohlorientiertes Lobbying, nicht aber zu finanzwirtschaftlichen Themen.
sueddeutsche.de: Traut sich keiner an den Bereich Finanzen heran?
Giegold: Es ist zumindest ein sehr sperriges Thema. Aber Entwicklungen in der Finanzindustrie hängen sehr stark von Regeln ab. Darum investieren Banken und Versicherungen enorme Summen in das Lobbying - während gemeinwohlorientierte Initiativen derzeit weder die Expertise noch das Geld haben, dagegenzuhalten.
sueddeutsche.de: Wo tritt die Übermacht der Bankenlobby besonders zutage?
Giegold: Erst jüngst wieder bei der Richtlinie AIFM, mit der die Investment- und Hedgefonds reguliert werden sollen. Da gab es eine unglaubliche Lobby-Schlacht. Alle Abgeordneten wurden massiv bedrängt, es gab insgesamt 1600 Änderungsanträge zum Vorschlag der EU-Kommission. Von denen hatte die Finanzindustrie rund 900 selbst verfasst. Ein entgegenstehendes progressives Lobbying gab es zu diesen Themen nicht.
sueddeutsche.de: Wurden Sie selbst auch bedrängt?
Giegold: Nein, mich stört aber das selbstherrliche Auftreten einiger Banklobbyisten.
sueddeutsche.de: Steckt hinter dem Aufruf der Parlamentarier insgeheim Ärger über die Arroganz der Banken?
Giegold: Lobbyismus gehört zur Demokratie. Natürlich kann man an den Methoden der Lobbyisten einige Kritik üben, doch uns fehlt vor allem das Gegengewicht. Es ist kein Aufruf gegen Lobbyismus, sondern das Kräfteverhältnis zwischen gemeinwohlorientierten Lobbyisten und geschäftlichen Interessengruppen muss stimmen. Derzeit vertreten Banken und Versicherungen ihre Anliegen ohne Widerspruch.