Griechenland: Krise:Deutsche Stärke und Last

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Athens Haushalt in Not, Berlins Wirtschaftspolitik am Pranger: Es liegt im elementaren deutschen Interesse, an der Perfektionierung der EU zu arbeiten.

Nikolaus Piper

Vor 20 Jahren hatte Europa schon einmal Angst vor einem zu starken Deutschland. Die Angst war so groß, dass die britische Premierministerin Margaret Thatcher die Wiedervereinigung im letzten Augenblick verhindern sollte.

Die Angst der Nachbarn machte aus dem eigentlich viel älteren Projekt der Währungsunion eine Sache von höchster Dringlichkeit. Diese Vorgeschichte muss beachten, wer heute über Griechenland, den Euro, den Stabilitätspakt und die Verantwortung der Deutschen diskutiert.

Die französische Ministerin Christine Lagarde hat es als erste prominente Politikerin öffentlich gesagt, aber sie ist mit ihrer Meinung nicht allein: Deutschlands Exporte sind ein Problem für den Rest der Welt. Weil die Deutschen sehr viel mehr produzieren, als sie verbrauchen, schwächen sie ihre Handelspartner und bedrohen den Euro.

Weil die deutschen Löhne kaum gestiegen sind, verlieren Menschen in Griechenland, Spanien und anderswo ihren Job. Und das Problem betrifft nicht nur Europa. In den USA steht zwar gegenwärtig China mit seiner unterbewerteten Währung im Mittelpunkt, immer häufiger jedoch werden Chinesen und Deutsche in einem Atemzug genannt, wenn es um unverantwortliche Handelspolitik geht.

Jenseits der Schuldfrage - Lagarde und andere Kritiker Deutschlands haben in einem sehr einfachen Sinne recht: Die Handelssalden in der Welt addieren sich zum Betrag von exakt null. Was des einen Überschuss, ist des anderen Defizit. Wenn sich daher Defizitländer wie Griechenland, Spanien oder die USA einschränken müssen, sind Konsequenzen für die Überschussländer unausweichlich. Die Vorstellung, eine Krise wichtiger Handelspartner könnte an Deutschland spurlos vorbeigehen, ist absurd.

Das wäre auch dann so, wenn es den Euro gar nicht gäbe. In diesem Fall hätte die Regierung in Athen vermutlich viel früher mit dem Sparen beginnen müssen und den Immobilienspekulanten in Spanien wäre schon längst das Geld ausgegangen. Die Drachme und die Peseta würden abgewertet und der Kurs der D-Mark wäre immer weiter gestiegen, was deutsche Waren im Ausland verteuert hätte. Der Euro ersparte den Deutschen dies alles. Sie profitierten damit indirekt von der unverantwortlichen Politik in einigen Partnerländern.

Die Rechnung kommt jetzt. Die Überschüsse müssen sinken, wobei es sicher besser ist, wenn dies durch höhere Nachfrage in Deutschland geschieht, als durch niedrigere Nachfrage im Rest der EU. Die Frage ist nur, was daraus folgt? Relativ klar ist, was die Deutschen nun nicht tun sollten.

Sie sollten erstens alles zurückweisen, was darauf hinausläuft, aus lauter Solidarität die Fehler anderer zu wiederholen. Die deutschen Tarifpartner haben in den vergangenen Jahren eine vernünftige Lohnpolitik betrieben. Die vielen Beschäftigungsbündnisse, die die IG Metall mit einzelnen Konzernen geschlossen hat, zahlen sich jetzt aus. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Lohnzurückhaltung hat funktioniert.

Dieser Kurs sollte nicht geändert, sondern von anderen Ländern kopiert werden. Wäre irgendjemandem gedient, wenn die Deutschen durch höhere Löhne Jobs zerstören und die Fehler Griechenlands, Spaniens und Italiens wiederholen würden? Zweitens sollte die Bundesregierung aufhören, einen Europäischen Währungsfonds zu fordern.

Die Idee von Finanzminister Wolfgang Schäuble ist auf den ersten Blick bestechend, führt jedoch in die Sackgasse. Ohne die Möglichkeit harter Sanktionen wäre ein solcher EWF einfach ein Schuldenfonds. Als spielentscheidende Sanktion bliebe eigentlich nur der Ausschluss aus der Euro-Zone, woran die Bundeskanzlerin offenbar denkt.

Dieses Instrument allerdings auch nur zu erwägen, ist brandgefährlich. Sobald ein Ausschluss theoretisch denkbar ist, werden alle Spekulanten der Welt bei nächster Gelegenheit testen, ob er nicht auch praktisch möglich ist. Diese Gefahr wird leicht unterschätzt, weil momentan mit Griechenland nur eine kleine Volkswirtschaft betroffen ist.

Aber auch die Krise eines kleinen Landes kann eine Kettenreaktion auslösen, an deren Ende die Zerstörung des Euro stehen würde. Umgekehrt müsste Deutschland ständig mit dem Verdacht leben, in Wirklichkeit zur D-Mark zurückkehren zu wollen.

Nein, eine Währungsunion muss unwiderruflich sein, oder sie wird nicht sein. Daher haben Sanktionen gegen Defizitsünder eine klare Grenze. Langfristig muss es möglich sein, dass ein Euro-Mitglied pleite geht, ohne dass dies der Währung schadet, so wie man ja auch dem Dollar nicht anmerkt, dass Kalifornien seit Monaten praktisch bankrott ist.

Kurz- und mittelfristig sollte sich die deutsche Politik an drei Stichworten orientieren: Zeit, Wachstum und Solidarität. Zunächst der Zeitfaktor: Bei allem Ärger über Athen sollte nicht vergessen werden, dass die Staatsschulden überall auf der Welt durch die Finanzkrise explodiert sind.

Deren Abbau darf nicht zu schnell gehen, sonst droht eine neue Rezession. In Griechenland ist die Lage etwas anders, weil das Land in eine akute Vertrauenskrise geraten ist, aber selbst in Athen darf man den Druck nicht übertreiben. Es kommt weniger auf den Haushalt des nächsten Jahres an, als auf eine überzeugende mittelfristige Konsolidierungsstrategie.

Ein Ausweg aus der EU-Krise heißt Wirtschaftswachstum. Hier liegen die größten Defizite Deutschlands. Es ist zwar nicht möglich, mit Lohnerhöhungen Wachstum zu schaffen, wohl aber mit der Förderung privater Investitionen. Dies ist derzeit nicht sonderlich populär, denn dabei geht es um viele Reformen, die heute als "neoliberal" gelten: ein flexiblerer Arbeitsmarkt, weniger Bürokratie, Begrenzung der Sozialausgaben.

Die Reformen sind von der rot-grünen Bundesregierung begonnen, aber noch lange nicht zu Ende geführt worden. Die EU-Partner können von der größten Volkswirtschaft der Gemeinschaft durchaus verlangen, dass sie ihr Potential nutzt.

Und schließlich die Solidarität. Hier gibt es einen schwer lösbaren Konflikt. Ein EU-Land, das in einer so fundamentalen Krise steckt wie Griechenland, braucht Unterstützung. Das liegt auch im Interesse der übrigen EU-Staaten. Die Euro-Vertrauenskrise kann bei der nächsten Athener Staatsanleihe sofort wieder akut werden.

Direkte Hilfen schließt der Stabilitätspakt aber aus, und die Bundesregierung würde vermutlich eine Klage vor dem Verfassungsgericht riskieren, würde sie die Vorschriften umgehen. Deshalb wird der EU vermutlich nichts anderes übrig bleiben, als Griechenland an den Internationalen Währungsfonds zu verweisen. Das zeigt eine Schwäche der EU, aber es ist der Preis dafür, dass die Währungsunion noch lange nicht perfekt ist.

Es liegt im elementaren deutschen Interesse, an der Perfektionierung dieser Union zu arbeiten. Aus der ökonomischen Stärke ergibt sich eine politische Verantwortung, die der Bundesregierung niemand nehmen kann.

© SZ vom 20./21.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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