Europäische Zentralbank:Weidmann an der Taktiktafel

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Jens Weidmann wird 2015 im EZB-Rat kurzzeitig nicht mit abstimmen können. (Foto: dpa)

Die Bundesbank verliert mal kurz ihre Stimme im Rat der Europäischen Zentralbank. Im Mai 2015 darf ihr Chef Weidmann nicht mit abstimmen. Trotzdem muss er nicht passiv von der Tribüne aus zuschauen.

Von Ulrich Schäfer

Nur einmal angenommen: Deutschland wäre nicht mit dabei gewesen, als in Brasilien der Fußball-Weltmeister ausgespielt wurde. Nur einmal angenommen: Joachim Löw hätte bloß als Beobachter im Maracanã-Stadion gesessen, während Argentinien und Brasilien im Endspiel stehen, zwei Nationen, die zwar gut Fußball spielen können, aber ihre Wirtschaft nicht richtig im Griff haben?

Ja, so ähnlich muss es sich für Jens Weidmann anfühlen, der - wie die EZB am Donnerstag bekannt gab - im Mai nächsten Jahres erstmals nicht mit abstimmen darf, wenn der Rat der Europäischen Zentralbank über die Geldpolitik entscheidet. Ein Drama ist das für viele, schließlich geht es um grundlegende Fragen: Schürrle rein? Kramer statt Khedira? Oder in diesem Fall: Zinsen runter? Oder wieder rauf? Und ausgerechnet der Bundesbankpräsident, der Hüter der Stabilität, hat nun regelmäßig keine Stimme mehr. Deshalb ist die Aufregung in Deutschland groß. Manchen Politikern (vor allem aus dem Süden der Republik) oder Ökonomen (auch vor allem aus dem Süden der Republik) schwant Böses.

Aber hat Weidmann - vulgo: Deutschland - wirklich keine Stimme mehr, wenn im Jahr 2015 die Rotation im EZB-Rat beginnt? Alle fünf Monate muss er pausieren, genauso wie seine Kollegen aus Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden. Aber auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen: Weidmann hat weiterhin eine Stimme. Er kann sie erheben, wenn der EZB-Rat tagt, und die Entscheidung mit guten Argumenten beeinflussen (denn er hat weiter Rederecht). Er kann dies aber auch öffentlich tun. Man könnte also sagen: Weidmann sitzt nicht bloß auf der Tribüne, sondern er ist auch in der Kabine mit dabei, bei der Mannschaftsbesprechung, wenn alle gemeinsam über die richtigen Positionen auf der Taktiktafel diskutieren. Und er kann auch von der Bank aus aufs Feld reinrufen.

Und, ach ja, das wird in Deutschland gern vergessen: Es gibt ja noch Sabine Lautenschläger, sie sitzt als Deutsche im sechsköpfigen Direktorium der EZB, dem Kern des Notenbank-Rats. Sie muss mithin nicht rotieren. Sie hat ihren Stammplatz sicher. Nicht im Maracanã-Stadion, wohl aber in Frankfurt.

© SZ vom 19.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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