Das chinesische Zockerparadies:Cash und Crash in Macau

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Von wegen Las Vegas: Das größte Kasino der Welt steht inzwischen auf einer Insel, die zu China gehört. Eine Nacht unter Gewinnern und Verlieren.

Marcel Grzanna

Wenn es um Geld geht beim Glücksspiel, beginnt chinesisches Blut zu brodeln. Ein glatzköpfiger Mann sitzt an einem Baccara-Tisch im Venetian in Macau, dem größten Kasino der Welt. Die Adern seiner Schläfen sind blau geschwollen. Sein Kopf sieht aus wie ein Globus, auf dem nur die Flüsse eingezeichnet sind. Er kaut auf seinen Backenzähnen. Es geht um eine fünfstellige Summe. Millimeter für Millimeter knickt er seine letzte Karte nach oben, die danach unbrauchbar ist. 20 Sekunden vergehen. Das Prozedere bringt Glück, glauben die Chinesen. In diesem Fall ein Irrglaube. Jede Hoffnung verlässt fluchtartig das Gesicht des Mannes. Er würgt einen dicken Kloß seinen Hals herunter. Dann steht er auf, um allein zu verdauen.

Der Andrang ist groß in Macau, dem einzigen Ort in China, in dem das Glückspiel erlaubt ist. (Foto: Foto: AP)

Damit das Blut der Verlierer nicht überkocht, pumpt die Klimaanlage einen zarten Duft wie in einer Parfümerie in die Luft. Das soll die Leute ruhig halten und Entgleisungen von Gästen verhindern. Aus Macaus Vergangenheit haben sich wilde Geschichten hinüber gerettet in die neue Ära.

Auf den Spieltisch gepinkelt

Als Ausländer einst nur als Gäste, nicht als Betreiber an den Spieltischen der Stadt willkommen waren, wehte ein anderer Wind durch die Kasinos der ehemaligen portugiesischen Kolonie eine knappe Bootstunde westlich von Hongkong. Man erzählt von Mord und Totschlag, Drogen und Prostitution und gerne auch über den Gangsterboss, der einmal viel Geld verlor beim Kartenspiel. Er habe sich nach der Pleite auf den Tisch gestellt, die Hosen herunter gelassen und auf den Filz uriniert, spricht man.

Die letzten zehn Jahre haben alles verändert. 1999 gaben die Portugiesen Macau an China zurück. Drei Jahre später wurde der Glücksspielmarkt liberalisiert. Kasino-König Stanley Ho verlor nach fast 40 Jahren sein Monopol. Die angelockten Branchenriesen aus den USA wie MGM, Wynn oder Sands investierten seitdem in Macau geschätzte acht Milliarden Dollar und verwandelten die muffige Zockerhöhle in ein Spielerparadies, das Las Vegas in Sachen Service und Unterhaltungsangebot schon bald in nichts mehr nachstehen soll. Macaus Umsätze im Glücksspiel sind ohnehin schon mehr als doppelt so hoch wie die in Vegas.

Postkartenmotiv für die Ewigkeit

"Die Amerikaner haben Macau mehr verändert, als es die Chinesen getan haben", sagt Manuel Joaquim das Neves. Er ist Direktor der Aufsichtsbehörde für Glücksspiel. Von seinem Büro im 21. Stockwerk blickt er steil hinauf zur Spitze des benachbarten Grand Lisboa, ein Hotel-Kasino in Form einer Lotosblume mit goldener Fassade. Stanley Ho hat es gebaut als Antwort auf den neuen Prunk der Amerikaner. Das Grand Lisboa ist die Krönung von Hos Lebenswerk, ein Postkartenmotiv für die Ewigkeit. Von oben könnte Ho der Kontrollbehörde aufs Dach spucken.

In der untersten Etage des Grand Lisboa sitzt ein Typ Anfang 30 mit getönter Brille und Föhnfrisur. Auch er spielt Baccara, das beliebteste Spiel der Chinesen. Nach jeder Runde kritzelt er auf Schmierzetteln herum, die vor ihm liegen. Er addiert und dividiert. Aus der Hosentasche zieht er ein kleines Notizbuch, in das er die Ergebnisse schreibt. Knifflige Aufgaben löst er mit dem Taschenrechner. Die Ergebnisse kritzelt er wieder ins Notizbuch. Wie ist sein System? Aufgekratzt sprudeln Begriffe wie Mathematik und Wahrscheinlichkeit aus ihm heraus. Hat er Erfolg? "Nein", sagt er und verschwindet umgehend auf die Toilette.

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Die Kasinos spülen Macaus Regierung mehr als vier Milliarden Euro Steuern jährlich in die Kasse - rund 75 Prozent der Gesamteinnahmen der Stadt. Nach der Öffnung des Marktes hat sich die Zahl der Kasinos auf 32 verdoppelt. Rund die Hälfte der elf Millionen Besucher im ersten Halbjahr kamen aus der Volksrepublik, weitere 30 Prozent aus Hongkong. Glücksspiel zählt zu den größten Leidenschaften der Chinesen.

Maßlose Zockerei

Jahrzehntelang gab es kaum andere Freizeitbeschäftigungen als Kartenspiele. Noch heute werden vor allem in den ländlichen Gebieten aus Mangel an Alternativen Spiele um Geld veranstaltet, um Besucher zu unterhalten, obwohl es illegal ist. Nur in Macau dürfen die Chinesen so, wie sie wollen. Entsprechend maßlos zocken sie. Sie erinnern an Kinder, die heimlich Schokolade in sich hinein stopfen, wenn die Eltern nicht zuhause sind. In guten Monaten sind es mehr als eine Milliarde Euro, die alle sechs lizenzierten Kasino-Betreiber umsetzen.

Im Venetian schaut ein Chinese zwei Europäern beim Roulette zu. Zweimal gewinnen die Ausländer kleinere Beträge. Für den Chinesen ist es offenbar das Signal, sich zu setzen. Hier mischt sich das Parfüm aus der Klimaanlage mit dem Duft des Erfolges. Der Mann trägt ein rotes Oberteil, die chinesische Farbe des Zocker-Glücks. Seinen ersten Chip legt er genau auf einen Chip der Europäer. Mindestens 20 weitere Chips im Wert von jeweils fünf Euro platziert er auf dem Zahlenraster. Mehr als 500 Euro kostet ihn der Spaß in weniger als 15 Minuten. Er grinst.

Jose Chan ist das Spielen die meiste Zeit verboten. Seit 31 Jahren ist er Glücksspiel-Inspektor im Auftrag der Behörde. Wie alle Angestellten in Macaus öffentlichem Dienst darf er nur drei Tage im Jahr sein Glück in den Kasinos versuchen. Er hat es aufgegeben, sagt er. Mit einem Funkgerät in der Hand spaziert der grauhaarige Mann gemächlich durch das Venetian-Kasino als sei es sein Wohnzimmer. Er und seine Mannschaft kontrollieren die Abrechnungen der Tische und schlichten, wenn es Unstimmigkeiten gibt zwischen Spieler und Betreiber. "Wenn alle gewinnen, wer soll dann mein Gehalt bezahlen", sagt Chan und lacht. Chan hat Baccara-Partien gesehen, bei der jeder Spieler mehr als 20 Millionen Hongkong Dollar auf den Tisch gelegt hat, das sind rund zwei Millionen Euro. Mit Zeigefinger und Daumen formt er eine Pistole, die er an die Schläfe setzt. Er simuliert einen Selbstmord und lacht.

Opfer der zerstörerischen Magie des Spiels

Es gibt jedoch Leute, die ernst machen mit der Pistole, wenn sie ihre Existenz verspielt haben. Paul Pun ist Präsident der Wohlfahrt in Macau. Er sagt, dass sich jedes Jahr bis zu zehn Betroffene allein in Macau das Leben nehmen. Hinzu kommen geschätzte 300 neue Problemfälle, die nicht mehr allein mit ihrem Leben klar kommen, die unbekannte Zahl an Süchtigen aus der Volksrepublik und Hongkong nicht eingerechnet.

In Macau sind es häufig junge Menschen, die schon mit 18 Jahren in der Branche arbeiten, statt eine höhere Schulausbildung anzustreben. Oft erliegen sie dann der zerstörerischen Magie des Spiels, zumal viele Kasinos mitten in den Wohngebieten gebaut sind und mit Licht und Lasern locken. Deswegen erhöht die Regierung in Kürze das Eintrittsalter für Kasinos auf 21 Jahre - auch für Angestellte.

Furcht vor der Spielsucht

In der Volksrepublik China versucht die Regierung, über ihre Visapolitik die Spielfreude ihrer Landsleute zu kontrollieren. Bewohner der Nachbarprovinz Guangdong beispielsweise dürfen zurzeit nur noch sechsmal pro Jahr nach Macau einreisen. Davor waren es zweimal im Monat. Denn immer wieder kommt es vor, dass Beamte öffentliche Gelder verspielen oder Bestechungsgelder im Kasino reinwaschen.

Doch auch die Sucht wohlhabender Privatleute fürchtet die Kommunistische Partei. Das China Business Journal fand heraus, dass Unternehmer allein aus der chinesischen Provinz Zhejiang im Jahr 2008 mindestens 191 Millionen US-Dollar in Macau verspielt haben. Ganze Unternehmen gingen zu Grunde und damit auch Arbeitsplätze verloren.

In Macau dagegen sichern die Zocker den Menschen Arbeitsplätze. Fast 45.000 der insgesamt rund 500.000 Einwohner sind in der Branche tätig. Und die Zahl der Spieltische soll mittelfristig um weitere 25 Prozent auf 6000 steigen. Dennoch stimmt das nicht jeden froh. "Glücksspiel hat Cash und Crash nach Macau gebracht", sagt Wohlfahrtschef Pun. Bares für die Betreiber und die Stadt, Zerfall für viele Familien. Zu selten ertönen Jubelschreie, wie der des jungen Mannes vor dem Glücksrad im Grand Lisboa. Er reißt die Arme nach oben und brüllt seine Freude heraus. Ihn hat das Glück geküsst - zumindest ganz sachte. Er nimmt seine 200 Euro Gewinn und geht.

© SZ vom 10.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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