Im Zentrum des Wahnsinns, der über 366 Seiten hinweg immer wahnsinniger wird, steht Edward Snowden. Greenwald versucht sich da nicht mal in journalistischer Distanz. Deswegen kommt man Snowden auf diesen Seiten sehr viel näher als in den objektiven Porträts über ihn oder bei den wenigen Auftritten im Fernsehen, bei denen sein sachlicher Ton und seine freundliche Art so gar nicht zum Drama seiner Enthüllungen passen wollten. Greenwald thematisiert diese Kluft zwischen Erscheinung und Wirkung der Person. "Er wirkte insgesamt recht proper, hielt sich militärisch gerade, war aber ziemlich dünn und blass und sichtlich angespannt und zurückhaltend", schreibt er über die erste Begegnung.
Dann aber skizziert er einen noch sehr jungen Mann und seine Lebensgeschichte, die eben nicht zwangsläufig in der Rolle des Aufklärers von Weltrang enden musste. Es ist die Geschichte eines Schulabbrechers, der in den Netzwerkstrukturen des Internets ein Spielfeld für seine extreme Intelligenz und dann in den Geheimdiensten nicht nur einen Abnehmer für seine außerordentlichen Fähigkeiten, sondern auch ein Ventil für seinen Patriotismus suchte.
Porträt eines Archetypen
Es ist dann dieser uramerikanische Patriotismus der aufrechten Heimatliebe, der Snowden dazu bringt, sich zunächst bei seinen Vorgesetzten und den Kontrollinstanzen über Machtmissbrauch und Übergriffe zu beschweren. Immer wieder vergebens, bis er frustriert den Entschluss fasst, die Daten zu sammeln und an die Öffentlichkeit zu gehen. Ohne das auszuformulieren, gelingt Glenn Greenwald dabei das Porträt eines Archetypen. Snowden ist eben nicht nur der Sonderfall. Er ist der exemplarische Vertreter einer Generation, die im Internet "das Epizentrum unserer Welt" entdeckt hat, wie es Greenwald in der Einführung beschreibt. Und die bereit ist, diese Welt auch zu verteidigen. Denn Snowden kämpft ja nicht nur für die digitale Menschenwürde eines Internets ohne ständige Überwachung. Er kämpft auch für die Freiheit im digitalen Raum.
Die ist so massiv gefährdet, wenn nicht gar unmöglich geworden, dass man den Mittelteil des Buches immer fassungsloser liest. Greenwald schlüsselt das auch für Laien auf. Er zeigt all die Folien und Powerpoint-Tafeln, mit denen die Geheimdienste ihre Übernahme der digitalen Weltöffentlichkeit planen. Es sind Bilder frappierender Banalität. Mit den verkrampft originellen Typografien, den ungelenken Layouts und kruden Logos wirken die Tafeln wie die Speisekarten schäbiger Imbisse.
Im Subtext bleibt am Ende eine Botschaft
Er beschreibt aber auch, wie etwas so Abstraktes wie Metadaten funktioniert: "Stellen wir uns einmal Folgendes vor: Eine junge Frau ruft ihren Gynäkologen an, gleich darauf ihre Mutter, dann einen Mann, mit dem sie während der vergangenen Monate häufiger nach 23 Uhr telefoniert hat; als Nächstes eine Familienberatung, die auch Abtreibungen durchführt. Daraus lässt sich eine schlüssige Geschichte herleiten, die sich so deutlich aus dem Abhören eines einzelnen Telefonats nicht ergeben würde."
Gegen Ende des Buches wird Greenwald (auf Kosten der Spannung) politisch immer deutlicher. Er beschreibt, wie Überwachungssysteme immer wieder ganze Bevölkerungen gewaltlos unterdrückten. Er fordert ein Ende der Überwachung und Freiheit für die Presse. Im Subtext bleibt am Ende die Botschaft: Fürchtet euch doch!
Die aber kann man zweifach interpretieren. Bürger und Presse, ganz klar, haben guten Grund zur Angst. Die Mächtigen aber werden solcher Figuren wie Edward Snowden nie Herr werden. Im Zeitalter des Internets noch weniger als je zuvor.