Was besagt das Gesetz, über das das EU-Parlament in Straßburg am Dienstag abstimmt?
Internet-Anbieter müssen verschiedene Arten von Internet-Verkehr im Prinzip gleich behandeln. Aber eben nur im Prinzip. Das Gesetzespaket formuliert eine Reihe von Ausnahmen, in denen die Internetanbieter durchaus Drosseln, Blockieren oder bestimmte Datenpakete bevorzugen dürfen:
- Sogenannte Spezialdienste dürfen im Netz Vorfahrt erhalten, also bevorzugt durch die Leitung geschickt werden. Das könnten zum Beispiel Anrufe des automatischen Auto-Notrufs E-Call sein, sagt die SPD-Europaabgeordnete Petra Kammerevert, die für das Parlament mit am Verhandlungstisch saß. Eine genaue Definition, welche Voraussetzungen gelten müssen, damit bestimmter Datenverkehr als Spezialdienst gilt, findet sich in dem Paket aber nicht.
- Provider dürfen dem Entwurf zufolge den Datenverkehr in bestimmte Kategorien einteilen und unter bestimmten Voraussetzungen unterschiedlich behandeln. So könnten Videos, E-Mails oder Filesharing zu eigenen Datenkategorien werden - und verschlüsselte Daten ebenso, weil der Internetanbieter ihren Inhalt nicht zuordnen kann.
- Internetanbieter dürfen gegen "drohende Netzüberlastung" vorgehen, zum Beispiel einzelne Datenkategorien langsamer oder gar nicht mehr durchs Netz leiten. Wann genau wirklich eine Netzüberlastung droht, ist dabei nicht eindeutig geregelt, die Anbieter haben hier wohl viel Ermessenspielraum.
- In dem Gesetzespaket sind sogenannte "Zero-Rating"-Regelungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Provider mit den Anbietern von Inhalten Verträge vereinbaren können, dass deren Content - beispielsweise Videos von einem Streaming-Dienst - nicht auf das Datenvolumen der Nutzer angerechnet werden.
Was sagen die Macher?
Der EU-Digital-Kommissar Günther Oettinger zeigt sich zufrieden mit der Einigung. Sie werde eine pragmatische Regelung zur Netzneutralität innerhalb der EU etablieren. Das sei heutzutage wichtig für Verbraucher und Unternehmen. Auf dieser Grundlage könne man das Telekommunikationsrecht weiter aufbauen.
"Alle Verkehre werden gleich behandelt, ob es das Katzenbild von Oma ist, ein Spielfilm, den ich mir herunterlade oder eine E-Mail", sagt Petra Kammerevert. "Es ist nicht alles so schön, wie wir uns das gewünscht haben, aber wir haben eine Menge erreicht."
Was sagen die Kritiker?
Die meisten Kritiker stören sich an der Formulierung der Ausnahmeregelungen. Laut Stanford-Professorin Barbara von Schewick sei das Gesetzespaket in seiner jetzigen Form dazu geeignet, das freie Internet in Europa in Gefahr zu bringen. Die Ausnahmen, nach denen gedrosselt, bevorzugt oder blockiert werden darf, seien zu breit angelegt und deshalb für nationale Netzbehörden kaum zu regulieren. Kleine Inhalteanbieter wie Start-ups oder Non-Profit-Organisationen könnten dadurch leicht gegenüber etablierten Tech-Firmen, die sich die digitale "Überholspur" leisten können, benachteiligt werden. Dabei hätten doch die großen IT-Konzerne selbst nur so groß werden können, weil sie sich in einem neutralen Netz bewegt hätten. Auf den Münchner Medientagen erklärten Sprecher von Telekom und Vodafone, dass sie darauf hoffen, bald "an der Quelle kassieren" zu können. Das bedeutet wohl: Die Unternehmen wollen von Inhalteanbietern wie Netflix oder Youtube zusätzliche Gebühren für deren Datenaufkommen erheben - oder von den Nutzern selbst. Bedeutet: Entweder wird Netflix teurer, oder der Internetzugang, mit dem man Netflix schauen kann.
Der Verein Digitale Gesellschaft, der sich selbst als "Initiative für eine menschenrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik" bezeichnet, interpretiert das Gesetzespaket kritisch. "In den Trilog-Verhandlungen wurde Europas digitale Zukunft zu Grabe getragen", sagt Geschäftsführer Alexander Sander. Das Parlament habe nun "die historische Chance, das Steuer in letzter Sekunde herumzureißen und sich der Abschaffung der Netzneutralität mit Nachdruck entgegenzustemmen". Dafür fordert der Verein - ebenso wie van Schewick - Internetnutzer dazu auf, über die Webseite savetheinternet.eu das EU-Parlament zu kontaktieren und sich für die Änderungsanträge einzusetzen.
Thomas Fetzer, Professor für Regulierungsrecht an der Universität Mannheim, hält die Verhandlungsergebnisse dagegen für einen akzeptablen Kompromiss: "Die EU wollte einen Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher und denen der Provider schaffen. Strikte Netzneutralität ist nicht festgeschrieben worden, aber das war auch nicht zu erwarten." Immerhin habe man allgemeine Blockaden und Drosselungen ausgeschlossen, das sei im Sinne der Nutzer. Entscheidend sei, dass die Bundesnetzagentur und andere Regulierungsbehörden fortlaufend überwachen, dass "die Vorfahrtsstraßen der Provider den normalen Internet-Zugang nicht zu einer Art Feldweg verkommen lassen".