Chat-App für Bahnreisende:Der Fremde im Zug

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"Lokin" will Zugreisende zusammenbringen. Dank der Chat-App soll man nicht irgendeinen, sondern den richtigen Gesprächspartner finden. Braucht man das?

Von Steve Przybilla

Auf dem Tisch im Bordbistro liegt eine Broschüre. Zu sehen sind mehrere Smartphones, darüber die verheißungsvolle Überschrift: "Hier bist du der Bahn-Chef". Geworben wird für eine App namens "Lokin", ein Programm, das es ermöglichen soll, mit Fahrgästen aus demselben Zug zu chatten. Die logische Gegenfrage, warum man seine Mitreisenden nicht einfach anspricht, nimmt der Flyer vorweg: Es geht nicht darum, irgendeinen Gesprächspartner zu finden, sondern den richtigen. Zum Beispiel, wenn Passagier X das Handy-Ladekabel vergessen und Passagier Y drei Waggons weiter das passende dabei hat. Aha.

Lokin ist schnell installiert und läuft problemlos. Als Erstes will die App wissen, in welchem Zug man sitzt - schon beginnt das Wirrwarr. Es bringt nichts, den eigenen Start- und Zielbahnhof einzugeben, weil Lokin automatisch davon ausgeht, man stehe am Gleis und wolle erst abfahren. Wer schon im Zug sitzt, muss einen nachfolgenden Bahnhof eintippen. Kompliziert. Zum Glück liegt ein Fahrplan auf dem Nachbarsitz.

Wo bleiben die Gesprächspartner?

Jetzt aber los mit dem Chat. Es gibt Kategorien wie "Zugverspätung", "Platz gesucht", "Mitfahrgelegenheit" und "Dinner for Two". Doch das Date im Bord-Bistro kommt nicht mal ansatzweise zustande. Während der ICE mit 276 km/h von Düsseldorf nach Mannheim rauscht, lahmt die Handy-Verbindung. Dann bricht sie ganz ab. Bei jedem Tunnel das gleiche Spiel - und immer noch kein Chat. Auch der Versuch, per Laptop und Surf-Stick online zu gehen, schlägt fehl, da die App nur auf Smartphones läuft. Für die Netzabdeckung kann die App aber nichts.

Kurz vor Mannheim endlich das ersehnte Signal. Doch wo bleiben die Gesprächspartner? Kein einziger ist im Chat, obwohl der Zug gut belegt ist. In der "Lounge", einem Forum der App, schreibt Peter: "Wird Lokin heute zu Grabe getragen?" Falls es so ist, wird es wohl kaum jemand merken. Und das Ladekabel? Hat vielleicht die nette Dame auf dem Nachbarsitz. Einfach mal fragen.

© SZ vom 08.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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