Die höchsten Richter sind nicht naiv. Sie leben nicht in Wolkenkuckucksheim. Sie kennen die Anschläge von Paris und von Brüssel, sie wissen um die Bedrohung der Gesellschaft durch den islamistischen Terrorismus und durch den gewalttätigen Rechtsextremismus. Sie wissen, dass die Angst davor eine Autobahn ist für Sicherheitsgesetze, die keine Geschwindigkeitsbeschränkung kennen. Ein Verfassungsgericht kann diese Angst nicht ausschalten; aber es kann Regeln formulieren, die auch auf dieser Autobahn gelten müssen.
All diese Regeln laufen darauf hinaus, dass die Sicherheitsbehörden sich nicht selbst zu Grundrechtseingriffen ermächtigen dürfen; es bedarf stets der Zustimmung und der Kontrolle durch unabhängige Stellen - durch unabhängige Richter und unabhängige Datenschutzbeauftragte; und das Bundeskriminalamt muss regelmäßig berichten und Rechenschaft darüber ablegen. Sicherheitsgesetze dürfen nicht mehr so vage sein wie bisher; fast auf jeder Seite seines Urteil beklagt das Verfassungsgericht, dass eine Befugnis, die das Gesetz dem Bundeskriminalamt gibt, zu "unbestimmt" sei.
Winfried Hassemer, der verstorbene Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, der ein großer Strafrechtsgelehrter war, hat immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass das Sicherheitsbedürfniss "strukturell unstillbar" ist. Gegen das Argument "morgen kann vielleicht etwas passieren" sei kein Kraut gewachsen. Aber es müsse ein Kraut dagegen gewachsen sein, weil sich der Gesetzgeber und die Gesellschaft nicht immer weiter treiben lassen könne durch ein mögliches Bedrohungsszenario. Man könne es sich nicht leisten, alles abzuschneiden an Grundrechten, was noch abgeschnitten werden kann. Zwei Jahre nach Hassemers Tod versucht dieses Urteil, so ein Kraut gegen das unstillbare Sicherheitsbedürfnis zu züchten. Man wird darauf achten müssen, dass das Kraut wachsen und gedeihen kann.
Das BKA-Gesetz gibt der Polizei die Möglichkeit, schon im Vorfeld von konkreten Straftaten mit Mitteln und Möglichkeiten zu operieren, die der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden nach den klassischen Regeln des Rechtsstaates eigentlich nur gegen konkrete Verdächtige erlaubt sind. Das heißt: Bei der bloßen Ahnung, dass etwas passieren könnte, kann schon so scharf zugegriffen werden wie dann, wenn etwas passiert ist. Bei bloßem Gefahrennebel darf so agiert werden wie bei echten Gefahren. Das BKA darf, weil es im Anti-Terror-Kampf so wichtig ist, ähnlich agieren wie ein Geheimdienst; so hat es der Gesetzgeber gewollt.
Datenschutz ist kein Gnadenrecht
Solche Aktionen brauchen aber, wenn sie überhaupt erlaubt sein sollen, allerstrengste Kontrolle. Diese Kontrolle versucht das Bundesverfassungsgericht nun zu buchstabieren. Auch die Kernrechte, wie das Zeugnisverweigerungsrecht müssen erhalten bleiben. Da geht das Gericht leider nicht weit genug. Es hebt zwar die bisherige seltsame Unterscheidung des BKA-Gesetzes zwischen Strafverteidigern (großer Schutz) und sonstigen Rechtsanwälten (kleiner Schutz) auf. Der Schutz der Journalisten bleibt aber dürftig ausgestaltet. Eine Stärkung der Pressefreiheit ist das nicht.
Die Sicherheitsapparate eines Polizeistaats dürfen alles, was sie können. Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaates können alles, was sie dürfen. Sie dürfen und können ziemlich viel, aber das hat eine Grenze. Diese Grenze hat das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil zu ziehen versucht. Der Schutz des Kerns der Privatheit und der Schutz der Persönlichkeitsdaten ist kein Gnadenrecht, das sich der Bürger vom Staat und seinen Sicherheitsbehörden erbetteln muss.