1400 Netz-Experten befragt:Die vier größten Sorgen um die Internet-Freiheit

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Wie sieht das Internet im Jahr 2025 aus? In einer Umfrage erzählen 1400 Experten von ihren Hoffnungen und Ängsten für das Netz der Zukunft. Sie geben sich dabei vorsichtig optimistisch - und fürchten doch den Einfluss von Geld und Politik.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Die Frage lädt zur Spekulation ein: Wie sieht das Internet im Jahr 2025 aus? Seriöse Prognosen sind für eine Technologie, die vor zehn Jahren noch nicht einmal YouTube und das iPhone hervorgebracht hatte, eigentlich ausgeschlossen. Dennoch haben 1400 Experten aus aller Welt dem Pew Research Center erzählt, was sie für die Zukunft des Internets erwarten. Die Ergebnisse im Überblick (Studie als pdf zum Download).

Die Befragten:

Pew, ein unabhängiger amerikanischer Think Tank, hat keine repräsentative Umfrage durchgeführt. Vielmehr sprachen die Forscher drei Gruppen an: Aus herkömmlichen und sozialen Medien bekannte Internet-Experten, Analysten der Tech-Industrie und Personen auf der Mailingliste von Pew, die sich in der Regel mit Internet-Trends beschäftigen. Bekannte Netz-Persönlichkeiten sind Danah Boyd (Microsoft), David Weinberger (Harvard) oder Hal Varian (Google-Chefökonom). Details zur Auswahl finden sich auf der Pew-Seite.

Das Fazit:

Die Befragten sind nicht pessimistisch und prognostizieren mehrheitlich (65 Prozent), dass der Zugang zum Internet und die Verbreitung von Informationen und Inhalten 2025 nicht schwieriger sein werde als heute. Allerdings haben die Experten auch große Sorgen und beschreiben einige Bedrohungen der Internetfreiheit.

Bedrohung I: Regierungen

Länder wie Ägypten, Pakistan oder China blockieren bereits jetzt Inhalte, Seiten oder die komplette Kommunikation zu bestimmten Themen. Diese Zersplitterung des Internets könne sich fortsetzen, befürchten viele Befragte. Die Zensur kann nicht nur politische, sondern auch kulturelle und religiöse Gründe haben. Künftig könne sich Nationalismus noch stärker in der Abschottung des Internets eines Landes manifestieren. Optimisten jedoch merken an: Das Internet als Infrastruktur bietet viele Möglichkeiten, diesem Trend entgegenzuwirken und Zensur zu umgehen.

Bedrohung II: Vertrauensverlust durch Überwachung

Die enthüllte Überwachung durch NSA und GCHQ hat das Misstrauen geschürt, in den kommenden Jahren wird es wachsen, glauben die Experten: Wenn Bevölkerung, Regierungen und Unternehmen überwacht werden, sinkt das Vertrauen in die Online-Kommunikation. Auch hier eine mögliche Folge: Nationale Abschottung und ein Rückgang der Vernetzung. Viel hänge davon ab, ob sich die Weltgemeinschaft auf Grundregeln zur digitalen Privatsphäre einigen kann.

Bedrohung III: Kommerzielle Interessen

Jeder möchte im Internet Geld verdienen. Die Befragten befürchten, dass dies problematische Folgen hat: Wenn hinter Internet-Diensten nur noch kommerzielle Interessen stehen, kann dies das Wesen des Netzwerks mittelfristig komplett verändern, warnt der Forscher David Clark vom MIT in Boston.

Andere wiederum erwarten, dass etablierte Branchen eine Gefahr darstellen werden: Sie nennen das Ende der Netzneutralität (Interesse der Provider), ein verschärftes Urheberrecht (Interesse einiger Kreativschaffender und Rechteverwerter) und übertriebenen Patentschutz (Interesse von Software-Firmen) als mögliche Probleme. Gerade das Beispiel Urheberrecht zeigt, dass im Pew-Meinungsbild eher progressive Denker den Ton angeben.

Bedrohung IV: Zu viel Information

Im Jahr 2025 wird das Internet - und damit die dort verfügbaren Informationen - um ein Vielfaches gewachsen sein. Dies könnte den Einzelnen überfordern; auf der anderen Seite verfolgen die Anbieter von Filter-Algorithmen ein kommerzielles Interesse, können also die Aufmerksamkeit in ihrem Sinne lenken - und damit Nutzern bestimmte Informationen vorenthalten.

Paul Saffo (Discern Analytics/ Universität Stanford): "Der Druck, das Internet zu balkanisieren, wird weiter existieren und neue Unsicherheiten schaffen. Regierungen werden besser, wenn es um das Blockieren für sie unangenehmer Inhalte geht."

Danah Boyd (Sozialforscherin, Microsoft): "Der Austausch von Daten wird geographisch fragmentiert sein, das führt zu großen Schwierigkeiten. Die nächsten Jahre wird es um die Kontrolle (der Datenströme, d. Red.) gehen."

Vint Cerf (Google-Vorstandsmitglied und Mit-Erfinder des Internet-Protokolls): "Das Internet wird sehr viel verbreiteter sein als heute, Regierungen und Unternehmen lernen gerade, wie wichtig es ist, sich darauf einzustellen. Künstliche Intelligenz und Spracherkennung werden das Netz womöglich sehr viel nützlicher machen als es heute ist."

Jerry Michalski (Web-Pionier): "Ich glaube, wir werden herausfinden, wie wir kreative Menschen für das kostenlose Teilen ihrer Werke belohnen können. Das wird einen Strudel an Innovation in Gang setzen, der die Gesellschaft aus vielen Problemen befreien und in eine Gemeinwohl-Wirtschaft transportieren wird. Der Konsumenten-Kapitalismus wird straucheln. Wir werden stattdessen herausfinden, wie wir die geschaffenen Werte teilen."

Marc Rotenberg (Electronic Privacy Information Center, EPIC): "Ich halte es für ein großes Problem, wie Menschen heute ihre Informationen finden, und meine Hoffnung ist, dass sich das dramatisch ändern wird. Im Moment erhalten 70 Prozent der amerikanischen Internet-Nutzer und 90 Prozent der europäischen Internet-Nutzer ihre Informationen über den Suchdienst einer einzigen Firma (Google, d. Red.). Das muss sich ändern. Es sollte viele Informationsquellen geben, mit größerer Streuung und weniger konzentriertem Einfluss."

Seth Finkelstein (Programmierer und Anti-Zensur-Aktivist): "Ich kann nur über die Industrienationen sprechen (...). Zugangsgeschwindigkeit und Verbreitung des Internets werden dort vor allem von Unterhaltungsformaten getrieben. Erst war es Musik, jetzt Video. Netflix und YouTube sind angeblich für einen großen Teil der verbrauchten Bandbreite verantwortlich. (...) Die Herausforderung ist, zu verhindern, dass das Internet zu einem industriellen Auslieferungssystem für Unterhaltung wird."

David Weinberger (Berkman Center for Internet and Society, Harvard): "Die Herausforderung für die Zukunft: Das Internet wird aufgeteilt und verpackt wie einst das Fernsehen, als ein Paket von Inhalten; und wir behandeln es dann wie Kabelfernsehen. Die Chance für die Zukunft: Die freie Kultur wird immer lebendiger und die Menschen erfreuen sich an Inhalten, von denen sie wissen, dass sie von Menschen wie ihnen selbst erstellt wurde."

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