Aber selbst wenn ein Schüler an der Notengrenze - in Bayern etwa muss der Notendurchschnitt der drei Grundschulfächer 2,33 oder besser sein - scheitert, ist noch nichts verloren. Mit Prüfungen oder Probeunterricht haben auch Schüler mit schlechteren Zensuren noch eine Chance - und zwar alle, ein bestimmter Notenschnitt ist für die Teilnahme keine Voraussetzung. Sie können dann die Gymnasiallehrer in schriftlichen und mündlichen Prüfungen überzeugen, dass sie doch fürs Gymnasium geeignet sind.
Zweitens ist das deutsche Schulsystem selbst in seiner dreigliedrigen Form wie etwa in Bayern oder Baden-Württemberg durchlässiger als manche Eltern meinen. Wenn das Kind ein Spätzünder ist oder sich vielleicht an der jeweiligen Grundschule nie recht wohl gefühlt und deswegen sein Leistungspotential nicht ausgeschöpft hat, gibt es auch von der Real- oder sogar von der Hauptschule aus zwar nicht leichte, aber durchaus gangbare Wege, um zum Abitur zu gelangen und zu studieren.
43 Prozent aller, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben, haben kein Abi, sondern beispielsweise einen Abschluss der Fachober- oder der Berufsoberschule. Und wenn es nach der vierten Klasse nicht reicht, ist ein Wechsel mit entsprechenden Noten auch nach der fünften noch möglich. "Die Schullaufbahn eines Kindes wird nicht mit Zeugnis der Grundschule entschieden", sagt Kraus. "Es gibt einen beachtlichen Anteil an Schülern, bei denen der Knoten erst später platzt."
Hinzu kommt, dass die öffentliche Wahrnehmung durch den Pisa- und den Rütli-Schock verzerrt ist: Das Gymnasium ist nicht das Nonplusultra. Zwar stehen die Hauptschulen in der Kritik und die Anforderungen an Ausbildungsplatzbewerber steigen teils. Richtig ist auch, dass sich Hauptschulabsolventen mit dem Berufseinstieg schwer tun und nur knapp die Hälfte auf Anhieb einen Ausbildungsplatz findet. Nichtsdestotrotz leisten viele Hauptschulen gute Arbeit, nur 16 Prozent gehören laut Bildungsforschern zu den leistungsschwachen.
Viele bieten neben dem Hauptschul- auch einen mittleren Schulabschluss an, der die Chancen im Berufsleben steigert, und investieren mehr Engagement in die Berufsvorbereitung ihrer Schüler und die Kontaktpflege zu lokalen Firmen. In zahlreichen Regionen, gerade in Bayern, haben Hauptschulabgänger gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz.
Entscheidend muss jedoch letztlich das einzelne Kind sein. Es nützt nichts, einen Schüler, der seine Stärken eher im handwerklich-praktischen Bereich als im Pauken von Fachwissen hat, ans Gymnasium zu drängen, damit er von dort gescheitert und demotiviert nach zwei oder drei Jahren doch an die Real- oder Hauptschule wechseln muss.
Die Aussagekraft von Noten, erst recht wenn sie so restriktiv über die Bildungskarriere entscheiden, ist umstritten, ein Indiz sind sie aber - abhängig von den Umständen - durchaus. Kraus verweist auf den "hohen prognostischen Wert" gerade der Noten in Mathe und vor allem Deutsch: "Eine Zwei im Fach Deutsch ist schon eine kleine Bank." Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler es dann bis zum Abitur schaffe, sei höher.