Stuttgart (dpa/lsw) - Vier Jahre Grundschule ohne Noten, das ist in Baden-Württemberg zwar nichts Neues. Als neues Reformprojekt wird das wieder aufgelegte Modellprojekt des Landes allerdings durchaus gesehen. Andere sparen nach der Ankündigung von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) nicht mit Kritik.
Nach den Plänen des Kultusministeriums sollen Jungen und Mädchen an 39 Schulen von der ersten bis zur vierten Klasse vom kommenden Schuljahr an keine Zensuren mehr bekommen. „Am Ende wollen wir vergleichen, wie es um die Unterrichtsqualität und die Leistungen der Schüler bestellt ist“, sagte die Ministerin der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ (Montag).
Ein solcher Testlauf war bereits im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz vereinbart worden. Neu ist die Idee aber nicht: Schon vor fast zehn Jahren hatte es im Südwesten einen solchen Schulversuch gegeben. Im Schuljahr 2013/2014 hatten zehn Grundschulen am Projekt „Grundschulen ohne Noten“ teilgenommen. Im Jahr 2017 dann hatte Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) das Aus für das Projekt verkündet.
Schopper begründet den neuen Anlauf mit dem Phänomen des „bulimischen Lernens“. Es werde für den Test gepaukt, danach werde alles wieder vergessen. „Damit ist kein Bildungsziel erreicht, und das verstehe ich auch nicht unter Qualität“, sagte die Ministerin den beiden Zeitungen. Wesentliches Ziel des Projektes sei es, mehr soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen.
Bis zum Stopp durch Eisenmann hätten Schulen erfolgreich „alternative Formen der Leistungsmessung und -rückmeldung umgesetzt“, sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Monika Stein, am Montag. Eltern und Lehrkräfte seien überzeugt gewesen, Kinder hätten profitiert. Der neue Schulversuch zeige, dass es andere Wege gebe, Leistung zu messen und den Schülern und ihren Eltern Rückmeldungen ohne Noten zu geben. Die „Grundschule ohne Noten“ werde dafür sorgen, dass weniger Kinder verloren gingen, „weil sie durch schlechte Noten in ihrem Lerneifer ausgebremst werden“, sagte Stein.
Die FDP ist da nicht so überzeugt: „Wer glaubt, dass man Kindern etwas Gutes tut, wenn man Hürden aus den Schulen herausnimmt, der irrt“, sagte FDP-Bildungsexperte Timm Kern. An den Grundschulen gehe es darum, sich grundlegende Fertigkeiten anzueignen und eben nicht auswendig zu lernen. Für das „Experiment“ müssten Kinder mit ihren Bildungsbiografien herhalten.
Die SPD kritisierte, Schoppers Projekt sei keineswegs eine Innovation. „Die Erkenntnis, dass der schon bei der erstmaligen Durchführung positiv bewertete Modellversuch Potenzial hat, kommt reichlich spät“, sagte Katrin Steinhülb-Joos, die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Sie ist sich sicher, dass „alternative Lernentwicklungsgespräche“ Schülerinnen und Schüler stärken können.
Für die Grünen erinnerte Bildungssprecher Thomas Poreski daran, dass sich an der Art der Benotung über Jahrzehnte an Schulen relativ wenig geändert habe. „Wie Lehrerinnen und Lehrer die Leistungen von Schülerinnen und Schülerb bewerten, ist daher oft aus der Zeit gefallen“, sagte er. „Deshalb ist es notwendig, die Leistungsrückmeldungen an das 21. Jahrhundert anzupassen.“ Noten reduzierten den Beitrag von Kindern und Jugendlichen auf lediglich sechs Ziffern. Durch andere Methoden könnten Lehrer die Leistungen ihrer Schüler viel differenzierter erfassen.
© dpa-infocom, dpa:220627-99-819252/4