Studium:Wer braucht schon Klausuren?

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Klausuren sind gerade in Massenstudiengängen eine beliebte Prüfungsform. (Foto: Andreas Lander/dpa)

Für die meisten Klausuren lernen Studierende eine Menge auswendig, nur um danach alles zügig wieder zu vergessen. Dabei gäbe es sinnvollere Prüfungsformen.

Von Sarah Mahlberg

Die Klausur ist eine der gängigsten Prüfungsformen an deutschen Hochschulen. Trotzdem ist der Kopf oft schon ein paar Tage danach wieder wie leergefegt. Ist sie überhaupt auf nachhaltiges Lernen angelegt?

"Dass man ein paar Tage nach der Klausur das Gefühl hat, alles vergessen zu haben, bedeutet nicht, dass es auch so ist", sagt Neurowissenschaftler Henning Beck von der Uni Frankfurt. "Vor einer Klausur ist man angespannt und fokussiert. Direkt danach fühlt man erst mal eine Leere. Das liegt aber daran, dass die Belastung vorbei ist, nicht daran, dass das Wissen verschwunden ist." Nach zwei bis drei Wochen könne man feststellen, "dass einiges doch hängengeblieben ist".

Doch natürlich nicht alles. Wer das Wissen später nicht mehr braucht, kann es auch irgendwann nicht mehr abrufen. Persönliches Interesse für ein Thema sorge jedoch dafür, dass das Gelernte im Kopf bleibt, sagt Elisabeth Meilhammer, die an der Uni Augsburg zur Erwachsenenbildung forscht. "Als Dozentin kann man nur versuchen, die Bedeutung jeweils zu verdeutlichen; das ist die Kunst der Didaktik."

Grundsätzlich kann eine Klausur nur sichtbar machen, ob Wissen und Urteilsvermögen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden sind, nicht, ob das Lernen auch nachhaltig war. Darüber hinaus finden Klausuren in einem künstlichen Umfeld statt. In sehr kurzer Zeit muss das Hirn viel leisten. Da manche Menschen mit der Drucksituation Probleme haben, sind Klausurergebnisse nie komplett gerecht.

Einen Pluspunkt bekommt die Klausur aber: "Man muss sich in ein Thema richtig reinwühlen und hat sich zum Ende zumindest eine Meinung gebildet", sagt Beck. "Es wird wohl kaum jemand sagen: 'Super, das Bürgerliche Gesetzbuch, das hau ich mir jetzt mal rein.' Aber für die Klausur muss man es eben trotzdem tun und kann darüber einen Standpunkt entwickeln."

Das Gelernte in einer Klausur abzurufen, ist allerdings nur die zweitbeste Lösung. Besser ist es, Gelerntes anzuwenden und zum Beispiel einer Gruppe zu präsentieren oder eine Hausarbeit darüber zu schreiben. Das zeigt, ob man das Thema wirklich verstanden hat.

Transferwissen prüfen Klausuren selten ab. Weil sie schnell korrigiert sind, setzen die meisten Dozeirenden trotzdem nach wie vor auf sie. Deshalb fallen zum Semesterende allerdings häufig viele Klausuren in kurzer Zeit an. Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes, Achim Meyer auf der Heyde, sieht diese Tendenz kritisch. "Eine Dichte von zwölf Klausuren in zwei Wochen ist einfach unsinnig", sagt er. Grundsätzlich seien sie wichtig, aber sie so eng zu takten, sei absolut nicht nötig.

"Dies kann das Hirn in der Tat überfordern", sagt Hirnforscher Henning Beck. Und es kann trotz guten Lernens eine schlechte Note zur Folge haben. "Am fairsten wäre es, über das Semester hinweg kontinuierlich zu bewerten. In Kalifornien zum Beispiel kann man sich in einigen Fächern anstelle einer Schlussklausur permanent Punkte erspielen, durch Projekte oder Referate", sagt Beck. Das eigne sich besonders für Lerninhalte, bei denen Kooperation wichtig ist, oder um eigene Ideen einzubringen und Prozesswissen zu vermitteln.

Um reines Faktenwissen abzuprüfen, ist es weniger geeignet. Das kann die klassische Klausur besser. "Im Übrigen sollte man das Auswendiglernen auch nicht unterschätzen", sagt Beck. "Man weiß danach zumindest, wo man Dinge nachschlagen kann und hat dem Hirn einen ersten Lernweg gebahnt." Vertiefen könne man das so erworbene Wissen zum Beispiel in der Bachelorarbeit.

Genau dies findet Marc Gennat problematisch. Der Professor für Automatisierungstechnik an der Hochschule Niederrhein bemerkte nach den ersten Klausuren, die er schreiben ließ, dass die Studierenden "nur nach Kochbuch lernen und den Sinn gar nicht verstehen". Viele Studierende, deren Bachelorarbeiten er betreut hatte, gaben im Feedback an, dass sie erst jetzt gelernt hatten, Methoden auch anzuwenden. "Das ist zu spät. Es hätte vorher geschehen müssen. Doch in den Klausuren mussten sie immer nur möglichst schnell irgendwas ausrechnen, dabei macht man das im richtigen Leben längst mit Excel."

Daher hat der Dozent sich ein neues Konzept ausgedacht, um Studierende zu prüfen. Im kommenden Jahr will er die Klausur durch ein einwöchiges Projekt in Zweiergruppen ersetzen, bei dem die Teams praktische Aufgaben bewältigen müssen. "Ich werde beispielsweise einen Tank aufstellen, einen Durchfluss generieren und Störungen einbauen", skizziert er eine mögliche Aufgabe. "Die Studierenden müssen die Pumpe dann so regulieren, dass der Durchfluss trotz Störungen konstant bleibt."

Um sein Projekt umsetzen zu können, bekam Gennat im vergangenen Jahr 50 000 Euro vom Land Nordrhein-Westfalen. Er hofft, dass Studierende durch seine Methode Gelerntes leichter miteinander verknüpfen und in einen neuen Kontext setzen.

"Diese Transferleistung schafft durch die klassische Klausur vielleicht ein Drittel der Studierenden. Die anderen erkennen kaum Zusammenhänge. Ich habe aber den Anspruch, mit meinem Projekt Fachkräfte so auszubilden, dass man sie in 30 Jahren immer noch braucht." Um nachhaltig Wissen zu vermitteln, kann die Klausur der erste Schritt sein. Aber es sollten weitere folgen.

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