Man hätte nun gerne gewusst, wer da nach acht Jahren das Abitur schreibt und wer nach neun Jahren unter den Demonstranten. Hunderte hatten sich vergangene Woche vor dem nordrhein-westfälischen Schulministerium zum Protest versammelt. Für ein "faires Abitur", gegen "Mathe-Schweinereien" und ihre angebliche Rolle als "Versuchskaninchen".
Ausgerechnet der doppelte Abiturjahrgang im bevölkerungsreichsten Bundesland wird durch Ärger überschattet, über die Mathematikaufgaben, die zu kompliziert und zu schwer gewesen seien. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) lässt nun die Aufgaben überprüfen. Waren die Aufgaben vor allem für die Abiturienten aus dem achtjährigen Gymnasium (G 8) zu schwer? Rächt sich bei ihnen, dass der Stoff gekürzt wurde? Alle mussten dieselben Aufgaben bewältigen, egal ob G-8- oder G-9-Schüler.
Bislang lässt sich nur spekulieren über den Hintergrund der Aufregung; fest steht aber: wieder einmal wird das G 8 mit einem Fehlstart verbunden, mit Pannen und überforderten Schülern. Seit Jahren flackert die Kritik am "Turboabitur" immer wieder auf, Eltern schimpfen über gestresste, unglückliche Kinder, Schüler über die Stofffülle und Zeitmangel. Im Spiegel beklagte vergangene Woche ein Vater gar eine "60-Stunden-Woche" für seine Jungs.
"Hohe Nachfrage" nach dem neunjährigen Abitur
Anders als bei vielen Reformen, die nach anfänglichen Protesten akzeptiert werden, will es um die verkürzte Gymnasialzeit nicht ruhig werden. Die Reform bleibt unpopulär. Wie soll man politisch damit umgehen? Diese Frage stellt sich vor allem den Kultusministern der Länder, wo Schulthemen immer wieder die Wahlen entscheidet. Sie eröffnen mehr und mehr Fluchtmöglichkeiten, neue Wege zum Abitur, die eigentlich die alten sind.
Beispiel Baden-Württemberg: dort bietet man den Ausweg der "Modellschulen", 44 Gymnasien sind es im ganzen Land. Dort können die Eltern ihre Kinder in der fünften Klasse für G 8 oder G 9 anmelden. Für das kommende Schuljahr entschieden sich gut 90 Prozent für das Abitur nach neun Jahren. Nun planen einzelne Schulen wieder komplett auf G 9 umzustellen - für das G 8 gibt es einfach zu wenige Interessenten.
Kultusminister Andreas Stoch (SPD) bleibt nur, die "hohe Nachfrage" nach dem neunjährigen Abitur festzustellen - und acht Millionen Euro extra einzuplanen. So viel soll der Modellversuch kosten, denn die Schüler müssen ja ein Jahr länger unterrichtet werden.