Sommerferien:Runterkommen

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Sechs Wochen schulfrei - was man da nicht alles unternehmen kann! Aber Aktion und Entertainment sind nicht die allerbesten Ferienbegleiter. Ein Lob auf die Langeweile und das Zählen von Teppichfransen.

Von Ulrike Heidenreich

Auch im Schwimmbad kann man abtauchen in die stilleren Sphären des Denkens und Fühlens: Augen schließen und sich sinken lassen. Wahrnehmen, wie die Wassermasse die Geräusche dämpft und den Körper trägt. (Foto: Arne Dedert/dpa)

"Kinder müssen in ihrer eigenen Langeweile versinken, damit die Welt um sie herum so still wird, dass sie sich selbst hören können." (Vanessa Lapointe, Psychologin und Autorin)

Es sind alarmierende Meldungen, jetzt, wo doch alles so entspannt sein sollte. Ferienzeit - weg mit dem Ballast, weg mit den schweren Schultaschen. Her mit dem leichten Leben, dem seligen Ausschlafen und dem Abtauchen ins Nichts. Doch stattdessen kommt Stress von anderer Seite. Angst vor Langeweile: Eltern planen die Ferien durch - so lautet sinngemäß das Fazit diverser Studien. Mehr als die Hälfte der Eltern will demnach in den Sommerferien nichts dem Zufall überlassen und arbeitet die sechs Wochen akribisch aus. Die Gründe sind die Nöte Berufstätiger, die ihre Kinder gut aufgehoben wissen wollen - und die Sorge, die Kleinen wüssten nichts mit sich selbst anzufangen. Aber bewirkt die Fürsorge auch wirklich Gutes?

Im Sommer werden Eltern zu Kinderferien-Managern

Das Marktforschungsinstitut Opinion Research hat neulich 1500 Eltern mit Kindern zwischen vier und 16 Jahren befragt. 61 Prozent haben demnach lange vor der Zeugnisvergabe eingetütet, wie das Freizeitprogramm aussehen soll. Durchschnittlich machen Eltern ihren Kindern pro Woche bis zu elf Vorschläge, wie sie sich beschäftigen könnten. Laut Studie geben sie durchschnittlich 257 Euro für Aktivitäten während der Ferien aus - damit ja keine Langeweile aufkommt.

Die Bilder aus der Werbung, wo eine zehnköpfige Rasselbande bei Muttern in der Küche aufschlägt, Marmeladenbrote abgreift und dann lärmend in Wald und Wiesen verschwindet, um irgendwann gegen Ferienende lehmverkrustet wieder aufzutauchen, haben längst nichts mehr mit der wahren Welt zu tun. Oft wartet halt keine Mama mit gestärkter Bluse daheim, etwa 70 Prozent der Frauen sind erwerbstätig. Mit dem Anstieg dieser Quote sind auch die Ferienangebote für Kinder mehr geworden - und attraktiver dazu.

Vor den Toren Münchens etwa, in Grünwald, stehen sich Eltern alljährlich die Beine in den Bauch, um Plätze beim Ferienprogramm zu bekommen. Dies ist so vielfältig, dass man als Erwachsener selbst gerne mitmachen würde: Angelausflüge, Hüttenbauen, Kamelreiten, 3-D-Fotografie, Meerjungfrauenschwimmen, Tauchen, Klettern und so weiter. Das ist alles schön und gut. Aber neben aller Ausdauer beim Schlangestehen dürfen Eltern ruhig auch den Mut beweisen und sagen: Mein Kind macht in den Ferien - nichts!

Auf dem Bett liegen und in die Luft gucken. Zeit für eigene Ideen

Dieses Nichts ist ein weiter Begriff. Pädagogen, Hirnforscher und Erziehungswissenschaftler kämpfen seit Jahren dagegen an, dass der Ausdruck Langeweile so negativ behaftet ist. Ihr Appell lautet stets: Lassen Sie Langeweile zu. Denn sie fördert die Kreativität, die Phantasie, das freie Spiel. In Zeiten der, natürlich gut gemeinten, Perfektionierung des Nachwuchses durch immer mehr Musik-, Sprach- und Sportangebote fällt weg, was ebenso wichtig ist: Auf dem Bett liegen und an die Decke starren. Gedankenverloren in die Luft gucken. Auf dem Sofa träumen oder die Fransen des Teppichläufers zählen. Nichts tun. Zeit für eigene Ideen. Da kommen Synapsen und Hirnströme in ruhige Bahnen.

Jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche weist nach einer Studie der Uni Bielefeld Stresssymptome auf, kann sich nur schwer konzentrieren. Öfters mal Pause machen - das empfiehlt der Münchner Kinderneurologe Florian Heinen, der in zwei Kopfschmerzstudien nachgewiesen hat, dass 40 Prozent der 12- bis 15-Jährigen wöchentlich unter Schmerzattacken leiden. "Die Jugendlichen leben heute in einer getakteten Welt ohne unverplante Zeit und ohne Langeweile. Alles wird kurz und schnell gemacht - SMS schreiben, Mails checken, ein Video ansehen", sagt der Neurologe. Auch Jesper Juul, viel gefragter Familieentherapeut, plädiert dafür, Inseln für die Kinder zu schaffen, in denen sie einfach nur gelangweilt sein dürfen - ganz ohne Berieselung von außen.

Langeweile ist wichtig für die kindliche Entwicklung. "Mama, Papa, mir ist langweilig!" - Eltern, die sich bei diesem Spruch genötigt fühlen, tolle Aktivitäten für ihren Nachwuchs zu erfinden, sollten üben, diese Langeweile auszuhalten. Und auch nicht sofort mit dem soeben konfiszierten Smartphone herauszurücken. Klare Grenzen, klare Zeiten bei dessen Benutzung schaffen plötzlich wieder Platz für Ideen, die von innen kommen.

Ein so rares Gut ist die Muße mittlerweile geworden, dass Wissenschaftler der Universität Freiburg ihre gesellschaftliche Bedeutung erforschen. Die These: "Muße zeichnet sich vor allem durch die Abwesenheit von Pflichten und Zwängen aus: Sie ist frei von jeder Verwertungslogik - und schafft damit den Freiraum, um kreativ zu sein." Die Forscher planen zu Ehren der Ruhepause nun sogar ein Museum in Baden-Baden. Dieses Museum wäre dann mal einen Ausflug in den Ferien wert.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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