Schulstart in Nordhein-Westfalen:Umsicht nur "vorgegaukelt"

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"Arbeitsbedingungen in den Schulen nicht bekannt": Die "Schulleitungs-Vereinigung NRW" wirft Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) Versagen vor. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Masken, Mindestabstände und regelmäßiges Lüften: Für das neue Schuljahr hat NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer viele Regeln aufgestellt. Doch nun kommt massive Kritik von den Schulleitern.

Von Christian Wernicke

Der Brief an Landesvater Armin Laschet liest sich wie ein Notruf. "Völlig unreflektiert und oberflächlich" seien die Standards, die Nordrhein-Westfalens Bildungsministerium in Corona-Zeiten verordne. Eine jüngste Anweisung von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zu Abstandspflicht und Belüftung von Klassenräumen, so heißt es weiter, "ignoriert vielerorts" die Zustände der maroden Schulgebäude. Das Ministerium in Düsseldorf, so der nächste Vorwurf, suche in der Krise keinen Rat, sondern wolle allenfalls "eine Scheinbeteiligung". Weshalb die Absender schlussfolgern: Der Öffentlichkeit werde von der Ministerin Umsicht nur "vorgegaukelt" - tatsächlich habe man den Eindruck, ihr seien "die Arbeitsbedingungen vor Ort in den Schulen nicht bekannt".

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Ein vernichtendes Urteil. Und eines von Gewicht: Verfasst hat die herbe Kritik die "Schulleitungs-Vereinigung NRW". Der Protest der Rektoren zwang das Ministerium am Dienstagnachmittag zu einer Replik: Weil 99 Prozent aller Schüler in NRW wieder brav zur Schule gingen, sei "der Schulstart gut gelungen". Das Ministerium verweist auf allerlei Pläne und auf eine "Ausstattungsoffensive", die besseres Internet und Tausende Tablets in die Schulen bringen soll. Will sagen: Alles ist gut - oder es wird besser.

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Der Staatssekretär bringt Schuldirektoren landesweit auf die Palme

Lehrergewerkschaften und Elternverbände sehen das anders. Seit Ausbruch der Pandemie im bevölkerungsreichsten Bundesland beklagen sie, die Düsseldorfer Ministerialbürokratie verkenne die Not an der Schul-Front. Mal verheddert sich die oft überfordert wirkende Ministerin Gebauer in organisatorischen Details (oder sie wird, wie Ende April, vom Ministerpräsidenten öffentlich korrigiert). Und dann wieder ist es ihr Staatssekretär Mathias Richter, der die 5500 Leiter von Grund- und Gesamtschulen, von Gymnasien oder Berufskollegs auf die Palme bringt. Richter gilt als eigentlicher Kopf im Ministerium, er unterschrieb die meisten jener "Schulmails" oder "Faktenblätter", die auf mehr als zwanzig Seiten oft kurzfristig detaillierte Vorgaben aus Düsseldorf über die Lehranstalten brachten.

Von der Kluft zwischen Weisung und Wirklichkeit - etwa in Gelsenkirchen - kann jemand wie Achim Elvert erzählen. Der Direktor der Gesamtschule Ückendorf musste vorige Woche eine seiner 9. Klassen in Quarantäne schicken, weil sich ein Schüler infiziert hatte. Hätte Elvert sich strikt an die Vorgaben aus Düsseldorf gehalten und die gesamte Klassenstufe je nach Leistungsstärke häufiger in verschiedenen Kursen gemischt - er hätte nicht nur 30, sondern 170 Schüler verbannen müssen.

Für Elvert ist das Beispiel der 9. Klasse nur ein Beispiel von vielen dafür, was auch der Brandbrief der Schulleiter beklagt: Das Ministerium betreibe Selbsttäuschung, wenn es einerseits "normalen Unterricht" verlange, aber andererseits etwa "feste Lerngruppen". In der Oberstufe, in Kursen statt in Klassen organisiert, funktioniert das nur, weil das Ministerium den gesamten Jahrgang als eine "feste Gruppe" von zum Beispiel 120 Schülern definiert. Und auch digital kennt Elvert den Unterschied zwischen Schein und Sein. Ende Juni kündigte das Ministerium 103 Millionen Euro für neue Tablets für Lehrer an: "Aber bei uns ist noch kein neues Gerät angekommen."

© SZ vom 26.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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