Schule:Kein Platz für Erdoğan im Klassenzimmer

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  • Bundesweit nehmen gegenwärtig etwa 40 000 türkischstämmige Schüler den freiwilligen Konsulatsunterricht wahr, den die Türkei anbietet.
  • Um die Kinder vor Indoktrination zu schützen, rät eine Forscherin den Bundesländern, die Türkischlehrer selbst auszubilden.

Von Carsten Janke

Türkische Lehrer unterrichten im Auftrag der Türkei an deutschen Schulen. Diese Tatsache hat in den letzten Monaten zu Misstrauen und einer teilweise hitzigen Debatte unter deutschen Bildungspolitikern geführt. Nun liegen erstmals konkrete Zahlen für den türkischen "Konsulatsunterricht" vor, also den Unterricht, den die Türkei türkischstämmigen Schülern in Deutschland anbietet.

Bundesweit nehmen gegenwärtig etwa 40 000 Schüler diesen freiwilligen Unterricht wahr, der von mehr als 500 türkischen Lehrern gegeben wird, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung bei Landesbehörden und türkischen Generalkonsulaten ergeben haben. Überdurchschnittlich groß ist das Angebot in Baden-Württemberg, wo rund 25 000 Schüler teilnehmen, aber auch in Berlin und Bremen.

Konsulatsunterricht gibt es in Deutschland schon seit den Sechzigerjahren. Ursprünglich wurde er für die Kinder der sogenannten Gastarbeiter geschaffen, als Ergänzung außerhalb des regulären Unterrichts. Um die Organisation kümmerten sich die Herkunftsländer. Ob Türkei, Italien oder Griechenland, sie schickten eigene Lehrer nach Deutschland. Die deutschen Schulbehörden hielten sich heraus und stellten meist nur die Räume zur Verfügung. Weil es bei dem muttersprachlichen Ergänzungsangebot aber auch um Landeskunde und Religion geht, gab es schon in früheren Jahrzehnten Kritik, insbesondere am türkischen Unterricht.

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Die Entwicklung in der Türkei gibt der Diskussion neue Nahrung. So erklärte die Bundestagsfraktion von CDU und CSU im Dezember, die Indoktrination von Kindern im Konsulatsunterricht müsse verhindert werden. Der hessische Beamtenbund befürchtete sogar: "Erdoğan sitzt in unseren Klassenzimmern."

Die Zahlen zeigen einerseits, dass der türkische Konsulatsunterricht nur einen kleinen Teil der hier lebenden Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund erreicht - weniger als zehn Prozent. Sie zeigen andererseits, dass seine Bedeutung wächst. So hat sich die Schülerzahl in Berlin seit 2002 nahezu verdreifacht. Müsste man also beim Sprachunterricht genauer hinsehen, wie beim islamischen Religionsunterricht, der schon seit Langem wegen türkischer Einflussnahme in der Kritik steht?

Blick auf das türkische Schulsystem gibt Anlass zur Sorge

Die Bildungsforscherin Ursula Neumann von der Universität Hamburg kennt den Konsulatsunterricht in ihrer Stadt seit vielen Jahren, jedoch keinen Fall, wo die Türkei direkt Einfluss genommen hätte. Das müsse aber nicht so bleiben, erklärt Neumann: "Ich kann mir gut vorstellen, dass die Türkei ihre Konsulatslehrer in Zukunft strenger auswählt und nur noch linientreue Pädagogen ins Ausland schickt." Auch die Lehrbücher, die in der Türkei gedruckt werden, gehörten genau überprüft.

Mit Blick auf das türkische Schulsystem ist die Sorge begründet. Dort sind nicht nur Tausende missliebige Lehrer entlassen, sondern auch die Lehrpläne teilweise massiv verändert worden. Jüngster Bruch mit der säkularen Tradition der Republik: Aus den Gymnasien soll die Evolutionstheorie verschwinden.

Den Bundesländern rät Neumann dazu, Türkischlehrer schleunigst selbst auszubilden. Viele Schulen würden nur auf das Angebot der Konsulate zurückgreifen, weil sie keine eigenen Türkischlehrer hätten. Türkisch müsse endlich als fremdsprachliche Kompetenz anerkannt werden. Nordrhein-Westfalen ist diesen Weg schon gegangen: Die Sprache ist als reguläres Schulfach anerkannt. Konsulatsunterricht findet nicht mehr statt.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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