Schule:Inklusion? Bitte nicht hier!

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Inklusion am Humboldt-Gymnasium in Karlsruhe (Foto: Uli Deck/dpa)

Ein Bremer Gymnasium will keine Inklusionsklasse einrichten. Das liegt auch daran, dass die Politik Inklusion an Schulen nicht besser fördert.

Von Matthias Kohlmaier

Für viele klang es nach einer Klage, die Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung schlicht ablehnt. Geklagt hat ein Gymnasium in Bremen gegen die eigene Senatorin. Der Grund: An der Schule soll ab kommendem Schuljahr eine Inklusionsklasse eingerichtet werden, in der Schüler mit und ohne speziellen Förderbedarf gemeinsam lernen.

So eine Klasse will das Gymnasium Horn aber nicht bilden und sich schon gar nicht von der Politik dazu zwingen lassen. Ob die Klage tatsächlich vor Gericht verhandelt wird, ist offen. Der Aufschrei jedenfalls war erst einmal groß. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sagte sogar, das Vorgehen der Schule erfülle ihn mit Scham. Speziell die Hauptschulen haben schon lange das Gefühl, die Inklusion alleine stemmen zu müssen, während sich die Gymnasien raushalten, so gut es nur geht.

So einfach aber ist es nicht. Franz Vogl, Leiter des nördlich von München gelegenen Gymnasiums in Neufahrn sagt zu der Debatte: "Wir Gymnasien wollen bei der Inklusion keine Sonderrolle einnehmen und uns auch nicht aus der Verantwortung stehlen. Ich finde aber, dass in der ganzen Debatte das Recht der anderen Kinder auf eine adäquate Beschulung auch gesehen werden muss."

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Die Schule will keine Inklusionsklasse einrichten, die Aufregung ist groß - und zeugt von Unkenntnis darüber, was das bedeutet: gemeinsamer Unterricht für alle Kinder.

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Im ersten Moment klingt das sehr nach Ausgrenzen, danach, dass die Gymnasien eben nur die Schüler mit den besten Voraussetzungen aufnehmen wollen. Der Rest ist nicht willkommen. Vogl meint es aber nicht so, er zitiert nur sinngemäß das Bayerische Schulgesetz. Demnach ist die Inklusion zwar Aufgabe aller Schularten, es kann aber nur auf Gymnasium oder Realschule gehen, wer am Ende der Grundschulzeit die notwendigen Zugangsvoraussetzungen erfüllt; sprich: einen Notendurchschnitt von maximal 2,33 (Gymnasium) oder 2,66 (Realschule) in den Fächern Mathematik, Deutsch und Heimat- und Sachunterricht im entscheidenden Übertrittszeugnis erreicht.

Über dieses sehr strenge Vorgehen beim Übergang von Grund- an weiterführende Schule wird schon seit Langem diskutiert. Es beraubt viele Spätzünder ihrer Bildungsmöglichkeiten, finden Kritiker. Im gegliederten und auf Leistung ausgerichteten Schulsystem sorgt es dafür, dass alle Kinder ihren Fähigkeiten nach ausgebildet werden, meinen Befürworter. Müssten die Gymnasien also mehr Kinder mit besonderem Förderbedarf aufnehmen, Kinder, die von vornherein keine Chance haben, das Abitur zu erreichen, dann würden sich Schüler mit schlechten Noten wohl fragen: Und warum dürfen wir nicht auch aufs Gymnasium?

Nur fünf Prozent der Inklusionskinder gehen aufs Gymnasium

Ein paar Zahlen zur Inklusion an bayerischen Regelschulen: Von den 8100 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die zu Beginn des vergangenen Schuljahres eine weiterführende Schule besucht haben, gehen fast 90 Prozent auf eine Mittelschule. Ein Gymnasium besuchen nur 400 von ihnen. Auch, weil es dort nicht genügend Personal gibt, das sie angemessen unterstützen könnte. Besonders am Gymnasium gilt noch immer: Ein Lehrer pro Klasse - für differenzierte Förderung bleibt da kaum Platz. Sollten die Gymnasien mehr Inklusionskinder aufnehmen, bräuchten sie zuerst mehr sonderpädagogisch geschultes Personal.

Das sieht auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, so. Wie Franz Vogl leitet er ebenfalls ein bayerischen Gymnasiums. "Man muss sich die Frage stellen: Wo kann ich Kinder mit starken kognitiven Einschränkungen, mit intensivem Förderbedarf im emotional-geistigen Bereich am besten unterstützen? Ich meine, dass das Gymnasium dafür in den allermeisten Fällen nicht der richtige Ort ist", sagt Meidinger.

Viele Bundesländer, so Meidinger weiter, hätten die Förderschulen zu früh geschlossen und gehofft, dass die Inklusion an den Regelschulen schon irgendwie funktionieren werde. Nun bekomme er von Kollegen bundesweit die Rückmeldung: Wir scheitern an zu geringen personellen Ressourcen, so kann keine echte Inklusion stattfinden.

Dass es auch anders geht, zeigen einige wenige Gymnasien, etwa das Gymnasium Links der Weser in Bremen. Dort lernen in sieben Klassen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam - so weit das eben möglich ist. Die Klassenräume sind in zwei Zimmer mit Zwischentür getrennt, die maximal fünf Inklusionskinder pro Gruppe nicht ständig im Regelunterricht, sondern nur dann, wenn es auch sinnvoll ist. Es sind immer zwei Lehrkräfte anwesend, dazu Sonderpädagogen und im Bedarfsfall noch eine weitere Kraft als Unterstützung für ein mehrfach behindertes Kind.

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Dass so alle Gymnasien mehr Inklusion leisten könnten, das sieht auch Schulleiter Franz Vogl aus Neufahrn so: "Es würde eine Bildungsexplosion geben, wenn das Lehrpersonal aufgestockt werden würde: zwei Lehrer pro Klasse, dazu Sonderpädagogen, wo sie gebraucht werden." Aber das koste eben viel Geld und die Politik müsse sich erst dazu durchringen, dieses Geld zu investieren.

Das bedeutet aber nicht, dass an Vogls Schule keine Kinder mit Förderbedarf unterrichtet würden. Er erzählt von einer Autistin und erklärt an ihrem Beispiel, was Inklusion an den meisten Gymnasien bedeutet. Das Mädchen konnte zeitweise nur zu Hause unterrichtet werden, deshalb bekam die Schule für sie zwölf sogenannte Anrechnungsstunden - mehr Unterricht, als es das normale Budget zulassen würde. Dadurch konnte man nicht nur Hausunterricht erteilen, es konnten auch kleinere Klassen realisiert werden, um für die Schülerin ein angenehmeres Lernklima zu schaffen, als sie schließlich am Regelunterricht teilnehmen konnte. Das Mädchen, so Vogl, sei hochintelligent und werde nun voraussichtlich sogar eine Jahrgangstufe überspringen können. Alles dank der speziellen Förderung zuvor. "Diese Form der Inklusion am Gymnasium unterstütze ich zu 100 Prozent", sagt Vogl.

Aber natürlich bringt das gymnasiale Leistungsprinzip in Sachen Inklusion für viele Betroffene Probleme. Clara Sägebrecht zum Beispiel graut jetzt schon vor dem Ende der Grundschulzeit ihrer Tochter. Die hat das Down-Syndrom und besucht derzeit die dritte Klasse einer bayerischen Grundschule. Sägebrecht, die eigentlich anders heißt, fürchtet, dass ihr Kind nach Klasse vier aus dem gewohnten sozialen Umfeld gerissen wird. "Sie hat in der Schule viele Freunde und dank der Arbeit einer sehr engagierten Schulleiterin kommt sie wirklich gut zurecht. Aber natürlich wird sie die Voraussetzungen fürs Gymnasium nicht erfüllen - wo die meisten ihrer Freunde aber hingehen werden", erzählt Sägebrecht.

Für das gut integrierte Mädchen wird der Übergang an die weiterführende Schule also wohl einen einschneidenden Neuanfang bedeuten. Wahrscheinlich an einer Mittelschule.

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