Ein zweiter Fall Guttenberg? Was Annette Schavan vorgeworfen wird:
Als die Plagiatsvorwürfe gegen Annette Schavan Ende April 2012 aufkamen - von einem Internetaktivisten mit dem Pseudonym "Robert Schmidt" erhoben -, war das nicht nur erstaunlich für die Wissenschaftswelt. Schon wieder ein Polit-Promi, dem unlautere Methoden vorgeworfen wurden. Und diesmal ist es ausgerechnet die Ministerin für Bildung und Forschung, die unter Verdacht steht. "Der Fall Guttenberg drohte sich zu wiederholen, ja schlimmer noch, denn mit Schavan traf es die oberste Bildungsinstanz der Republik (...)", ordnete Wolfram Weimer vom Handelsblatt die Vorwürfe ein.
Und tatsächlich schien ein erstes Gutachten der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, an der Schavan ihre Doktorarbeit geschrieben hatte, die Befürchtungen zu bestätigen: Der Judaistik-Professor Stefan Rohrbacher attestierte der CDU-Politikerin im Oktober in einer 75-seitigen Expertise eine "leitende Täuschungsabsicht".
Dennoch unterscheiden sich die Fälle Guttenberg und Schavan qualitativ: Dem früheren Verteidigungsminister wurde nachgewiesen, dutzendfach Inhalte anderer Autoren als seine eigenen ausgegeben zu haben. Er habe absichtlich plagiiert, urteilte die Universität Bayreuth, an der der CSU-Politiker seine Doktorwürde erlangt hatte. Schavan hingegen wird vorgeworfen, wissenschaftlich unsauber gearbeitet zu haben: So soll sie unter anderem ihre Quellen "nicht oder nicht ausreichend" (Plagiatsaktivist Schmidt) kenntlich gemacht haben und an mehreren Stellen lediglich auf Sekundärliteratur verwiesen haben.
Zuvor war im zuständigen Promotionsausschuss diskutiert worden, den Vorwurf der absichtlichen Täuschung abzuschwächen. Schavan habe in Kauf genommen, dass sie gegen gängige Zitierregeln verstoßen könnte, hieß es. Juristen würden von bedingtem Vorsatz sprechen. Auch der reicht jedoch, um einen Doktortitel im Zweifelsfall abzuerkennen - das hat gestern der Rat der Düsseldorfer Philosophischen Fakultät entschieden und ein offizielles Verfahren gegen Schavan eingeleitet.
Galten vor 30 Jahren andere Regeln für Promotionen als heute?
"Person und Gewissen" lautet der Titel von Schavans Dissertation. Die erziehungswissenschaftliche Arbeit stammt aus dem Jahr 1980, ist also mehr als 30 Jahre alt. Deshalb steht die Frage im Raum, ob die Ministerin gar keine Plagiatorin ist, sondern ihre Promotion schlicht nach einem nicht mehr gültigen Regelwerk verfasst hat. Wolfgang Löwer, Professor für Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn und Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für wissenschaftliches Fehlverhalten, kommt im SZ.de-Gespräch zu einer klaren Antwort: "Es war immer schon verboten, abzuschreiben." Die zuständigen Gutachter "rügen nur, was auch damals gerügt worden wäre", so der Rechtsexperte.
Jedoch sei der Ton in der Debatte um Plagiate und um das Paraphrasieren heute schon ein anderer. "Früher war man da vielleicht etwas großzügiger." Dazu kommt, dass Schavan vermutlich weniger Erfahrung im Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten hatte als aktuell Promovierende. Vor 30 Jahren war noch der direkte Weg zur Doktorwürde möglich. Für die Bildungsministerin war ihre Promotion der erste akademische Abschluss, eine Magister- oder Diplomprüfung legte sie nicht ab.
Ist die Einleitung des Verfahrens bereits ein Schuldspruch?
Jein. Als der Dekan der Philosophischen Fakultät, Bruno Bleckmann, am Dienstagabend vor die Presse trat, verkündete er zwar, dass gegen die Bildungsministerin ein offizielles Aberkennungsverfahren eingeleitet werde. Er betonte aber zugleich ausdrücklich, dass dieses "ergebnisoffen" sei. Schavans Hoffnungen ruhen nun auf externen Gutachtern, die möglicherweise zu einem anderen Urteil kommen als der Rohrbacher-Bericht. Allerdings fiel die Entscheidung für ein Aberkennungsverfahren im Fakultätsrat mit 14 von 15 Stimmen bei einer Enthaltung. Das spricht für die Stichhaltigkeit des existierenden Gutachtens.
Wie läuft das Aberkennungsverfahren ab?
Annette Schavan muss sich wohl auf eine längere Zeit des Wartens und Bangens einstellen. Am 5. Februar tritt der Fakultätsrat erneut zusammen, um erst einmal über das weitere Vorgehen im Verfahren zu entscheiden. Ein Termin für eine endgültige Entscheidung über die Doktorwürde der Ministerin ist noch nicht abzusehen.
Als wahrscheinlich gilt, dass der Rat zumindest ein weiteres Gutachten über die Dissertation in Auftrag gibt. Ob die Expertise wiederum uniintern vergeben wird, ist fraglich. In der vergangenen Woche hatten sich führende Wissenschaftsorganisationen zur Unterstützung der Bildungsministerin formiert und das bisherige Vorgehen der Düsseldorfer Hochschule kritisiert. Die Vorwürfe seien nur von einem Professor (Rohrbacher, Anm. d. Red.) erarbeitet und zugleich bewertet worden, zudem sei dieser nicht vom Fach, hieß es leicht verklausuliert in einer Erklärung der Organisationen. Am Montag hatten dann Vertreter der Hochschulen wiederum der Uni Düsseldorf den Rücken gestärkt und die Einmischung der Wissenschaftsallianz in das laufende Verfahren gerügt. Einen Gutachter zu finden, der alle Parteien zufriedenstellt, dürfte angesichts der verhärteten Fronten nicht einfach sein.