15 Jahre Bologna-Reform:Akademische Tellerwäscher

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Reihenweise Studenten im Hörsaal: Die Bologna-Reform hat aus der Hochschule die Silbe "Hoch" gestrichen. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Sechs Semester reichen oft nicht. Der Bachelor, vor 15 Jahren als Regelabschluss eines Studiums beschlossen, wird als akademischer Titel kaum ernst genommen. Dabei wäre das Problem leicht zu lösen.

Ein Kommentar von Johann Osel

Ein Bachelor in Physik? "Ist nie im Leben ein Physiker", hat der Chef der Hochschulrektoren mal gesagt. Ein Bachelor-Lehrer? Ist bundesweit in keinem Schulgesetz vorgesehen. Ein Bachelor-Ingenieur? Findet den Berufseinstieg vielleicht im Vertrieb eines Technik-Unternehmens, wohl kaum in der Tüftlerabteilung. Ein Bachelor in Geschichte? Hat die Grundlagen gelernt und ein bisschen in der Wissenschaft geschnuppert. Aber ist als Historiker nicht so richtig zu gebrauchen. Man kann dieses Prinzip für die meisten Disziplinen fortsetzen. Jahr für Jahr beginnen eine halbe Million junge Menschen ein Studium. Ihr Ziel, zumindest zunächst: der Bachelor.

Und das ist ein Problem. Ein gemeinsames europäisches Studiensystem, mit sechs Semestern Bachelor als neuem regulären Abschluss sowie einem weiterführenden Master für einen Teil der Studenten - der Startschuss dafür war die "Bologna-Erklärung", unterzeichnet vor nun genau 15 Jahren.

Sehr bürokratisch hatten Politik und Hochschulen das System danach schrittweise eingeführt. Und dabei aber der Hochschule die Silbe Hoch gestrichen: Für jeden Atemzug im Hörsaal gab es fortan Noten und Regeln. Nach den massiven Protesten 2009, als bundesweit Studenten auf die Straßen gingen, wurden viele anfängliche Fehler korrigiert. Der große Reformfrust ist verflogen, der alltägliche Bologna-Betrieb klappt halbwegs. Der Hauptfehler aber blieb: die Unehrlichkeit.

Kaum ein Unternehmen nimmt den Bachelor als Abschluss ernst

Der Bachelor ist in erster Linie eben eine Verknappung des Studiums und seiner Inhalte. Böse Zungen nennen Absolventen "akademische Tellerwäscher". Höflicher formuliert kann man sagen: Sechs Semester reichen oft nicht. Jüngste Daten zeigen: 60 Prozent der Bachelorstudenten wollen unbedingt noch den Master machen. Meist setzen die Hochschulen aber Hürden beim Master-Zugang, etwa gute Bachelor-Noten. Weil ein "Master für alle" teuer ist; und weil der Bachelor eben Regelabschluss sein soll.

Dabei wäre das Gegenteil klüger: der Master als offizieller Regelabschluss, der Bachelor als Variante. Wer nach sechs Semestern in den Job gehen kann und will, hat einen Abschluss. Auch könnte er den Master später nachholen, die Option ist ein Vorteil des Zwei-Phasen-Studiums. Das wäre nicht das Ende von Bologna, vieles bliebe erhalten: Für die Reform prüften Fakultäten ihre Inhalte, modernisierten endlich viele Fächer. Auch ein wenig Verschulung schadet nicht, wer das falsche Fach gewählt hat, erkennt dies im Bachelor sofort. Das Modell ist generell keine Einladung mehr für reine Bummelanten.

Und ein Master für alle Studenten, die das wollen, hätte einen Nebeneffekt. Zuletzt war in der Politik viel von "Über-Akademisierung" die Rede, zulasten der klassischen Berufsausbildung - man müsse hier gegensteuern, hieß es. Der Rekord-Ansturm auf die Hochschulen, an denen Studenten im Bachelor nur eine Art wissenschaftlich angehauchte Lehre machen, setzt auf Masse statt auf Klasse. Die klare Betonung, dass ein Studium im Regelfall bis zum Master geht, könnte die Nachfrage automatisch ein wenig bremsen.

© SZ vom 18.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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