Grundschule:Alle lernen im eigenen Tempo

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Immer mehr Grundschulen bundesweit unterrichten in den ersten beiden Jahrgangstufen flexibel. (Foto: dpa)

Die flexible Grundschule erlaubt Kindern, langsamer zu lernen - oder schneller. Nicht nur in Bayern wird das Modell immer beliebter.

Von Susanne Klein

Abgesprochen war das nicht. Als die Vorsitzende der Hamburger Elternkammer letzte Woche im NDR-Hörfunk auf den Schulsenator ihrer Stadt traf, überraschte sie ihn mit einer Idee. Thema der Sendung waren das neue Schuljahr und die Frage, wie Hamburger Schüler in den Problemfächern Deutsch und Mathematik besser werden können. "Tatsache ist, dass die Kinder schon mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Grundschule kommen", gab der Moderator zu bedenken. Das war Antje Müllers Stichwort: Die Elternvertreterin schlug vor, dass Kinder je nach ihrer Ausgangslage unterschiedlich lang die Grundschule besuchen dürfen.

"Praktisch könnte das so aussehen, dass der Lernstoff der ersten beiden Grundschuljahre in ein bis drei Jahren erledigt werden kann", so Müller. Ein Kind mit guten Startbedingungen, das pfiffig und motiviert sei, könnte schon nach einem Jahr in die dritte Klasse wechseln, während "ein Kind, dem es ein bisschen schwerer fällt, das vielleicht Deutschprobleme hat", für denselben Stoff drei Jahre Zeit hätte.

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"Flexible Schuleingangsphase" nennt sich das Modell. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass Schulklassen bereits seit mehr als 20 Jahren immer heterogener werden, wie Experten beobachten. Die Abstände zwischen Schulanfängern sind mittlerweile so groß, dass sie bis zu drei Lernjahren entsprechen. Sind einige Kinder sehr sprachgewandt, mühen sich andere von Wort zu Wort. Sind manche im Reich der Buchstaben noch fremd, können andere schon lesen und schreiben. Aber alle sollen in genau vier Jahren zumindest annähernd gleiche Chancen für ihre Bildungszukunft erlangen. Unrealistisch findet Antje Müller das und ist damit nicht allein.

Auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe signalisiert Unterstützung. "Ich finde die Idee sehr gut", sagte er in der Sendung. Mit Müllers Vorstoß hat er zwar nicht gerechnet, aber das Konzept ist ihm bekannt. Er hatte es vor fünf Jahren selbst einmal vorgeschlagen, als Pilotprojekt an Brennpunktgrundschulen. Keine wollte mitmachen, die Organisation sei zu kompliziert. Trotzdem hält Rabe einen zweiten Versuch für möglich, ließ sein Sprecher am Freitag wissen. Dann würde man wohl alle Grundschulen ansprechen, Schulanfänger mit Bildungsnachteilen gebe es in jedem Stadtteil. 2016 hatte beim IQB-Bildungstrend jeder fünfte Hamburger Viertklässler den Mindeststandard im Rechnen verpasst, jeder vierte das Mindestlevel im Schreiben - schlechte Aussichten auf einen Schulabschluss. Mehr Lernzeit könnte die Chancen dieser Kinder erhöhen.

Das Alter der Kinder in der ersten Lernphase ist gemischt

Gut möglich, dass der Zeitpunkt diesmal besser passt. In anderen Bundesländern wird die flexible Eingangsphase bereits erprobt, Hamburg könnte davon profitieren. Flex heißt das Projekt in Brandenburg, nach Schulversuchen bietet mehr als jede dritte Grundschule heute Flex-Klassen an. Die erste und zweite Jahrgangsstufe werden zusammengefasst, die Schüler altersgemischt unterrichtet. Die meisten durchlaufen die Phase wie bisher in zwei Jahren. Schnelle Lerner können frühestens nach einem Jahr in Klasse drei aufrücken, langsame sollen es nach drei Jahren geschafft haben. Ungefähr zehn Prozent machen von der Verlängerung Gebrauch.

Das flexible Angebot existiert auch in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hessen und an 268 von 2400 Grundschulen in Bayern. Die Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann, lobt: "Wenn der Siebenjährige dem Fünfjährigen beim Rechnen hilft oder der Fünfjährige dem siebenjährigen Migrantenkind in Deutsch, dann ist das die Pädagogik der Wahl."

Einen Nachteil hat das Konzept jedoch: Wechselt ein Teil der Kinder nach zwei Jahren nicht mit in die dritten Klassen, sind diese zu klein - die Schule muss die Stufe dann neu strukturieren. Simone Fleischmann hält das für akzeptabel. "Der individuelle Start der Kinder ist lernpsychologisch und pädagogisch so viel wert, dass man dafür nach zwei, drei Jahren eine neue soziale Zusammensetzung in Kauf nehmen kann."

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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