Corona-Krise:Ein unbürokratisches Bafög, das aber nur wenigen hilft

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Studenten in einem Hörsaal der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam. Nach dem Studium ziehen viele Absolventen lieber in die großen Ballungsräume. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Die Regierung will Studierende und Wissenschaftler in prekärer Lage unterstützen. Kritiker sagen: nicht beherzt genug.

Von Susanne Klein, München

Die geplanten Erleichterungen der Bundesregierung für Bafög-Empfänger und Wissenschaftler mit Zeitverträgen rufen ein geteiltes Echo hervor. Das am Mittwoch im Kabinett verabschiedete Gesetzespaket, das die Auswirkungen der Corona-Pandemie abmildern soll, geht Kritikern nicht weit genug. So begrüßt zwar der hochschulpolitische Sprecher der FDP, Jens Brandenburg, dass Studierende im Zuge der Corona-Krise in systemrelevanten Branchen jobben können, ohne dadurch Bafög-Einbußen zu erleiden. Der Hinzuverdienst soll von der Anrechnung komplett ausgenommen sein. Bis vor wenigen Tagen hatte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), die die neuen Regeln auf den Weg brachte, die Anrechnung lediglich etwas großzügiger gestalten wollen, als sie es normalerweise ist.

Zugleich kritisiert Brandenburg aber, Karliczeks Paket greife "viel zu kurz". In einem Offenen Brief an die Ministerin, der der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt, schreibt der FDP-Politiker: "Eine Antwort zur krisenfesten Studienfinanzierung für alle bleiben Sie schuldig". Den Studierenden ohne Bafög-Bezüge, die wegen Corona ihre Jobs verlieren, sei mit den Vorschlägen nicht geholfen. 40 Prozent dieser Nicht-Bafög-Empfänger seien auf umfangreiche Nebenjobs angewiesen, um ihr Studium zu finanzieren. "Sie leiden nun darunter, dass Nebentätigkeiten in der Gastronomie und anderen krisengebeutelten Branchen wegfallen", so Brandenburg.

Der Bundestagsabgeordnete fordert in dem Brief einen unbürokratischen Härtefallfonds und schnelle Neuberechnungen von Bafög-Ansprüchen, möglichst ohne Vermögensprüfung, um finanzielle Notlagen abzufedern. "Der finanzielle Spielraum ist vorhanden. Das zeigen die 2019 nicht verausgabten Bafög-Mittel in Höhe von 900 Millionen Euro", schreibt der Hochschulexperte. Zudem regte er an, die Bundesagentur für Arbeit möge gemeinsam mit den Studentenwerken kurzfristig neue Nebentätigkeiten zur Unterstützung der Gesundheitsämter, Landwirte und Supermärkte vermitteln.

Das Unterstützungspaket könne nur mit dem Sticker "Return to sender" versehen werden, lästern die Grünen

Auch von den Grünen kommt Kritik an Karliczeks Maßnahmen. Da diese sich nur an Bafög-Empfänger richteten, hätten fast 90 Prozent der Studierenden nichts davon. Der hochschulpolitische Sprecher der Partei, Kai Gehring, rügt: "Dieses Unterstützungspaket kann nur mit dem Sticker Return to sender versehen werden." Um die sozialen Folgen abzumildern, solle die Bundesregierung für unverschuldet in Not geratene Studierende vorübergehend die Grundsicherung öffnen, ohne dass sie sich exmatrikulieren und die Unterstützung zurückzahlen müssten.

Eine andere Lösung hatte zuvor bereits das Deutsche Studentenwerk vorgeschlagen. Es fordert ein auf sechs Monate begrenztes "Not-Bafög" für alle Studierenden, die wegen Corona ihren Job verlieren. Wer nachweisen könne, dass sein Jobverlust der jetzigen Krise zuzuschreiben ist, solle so lange einen Ausgleich in Bafög-Höhe als Mischung aus Zuschuss und Darlehen erhalten, empfahl der Generalsekretär des Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, am Dienstag im Handelsblatt.

Ähnlich wie die FDP zollt auch die Bildungsgewerkschaft GEW der Bundesbildungsministerin zunächst ein kleines Lob. Mit Blick auf die Lage wissenschaftlicher Mitarbeiter an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen spricht sie von dem "wichtigen Schritt", dass Arbeitsverträge, die im Zeitraum Corona-bedingter Einschränkungen eigentlich auslaufen müssten, laut Karliczeks Ankündigung um sechs Monate verlängert werden dürfen. Dies will die CDU-Politikerin durch eine Ergänzung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ermöglichen. Die Kritik folgt jedoch auf dem Fuße: Statt einer bloßen Option verlangt die GEW einen Rechtsanspruch auf Fristverlängerung. "Ob eine wissenschaftliche Mitarbeiterin oder ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einen Nachteilsausgleich erhält, darf nicht von der Willkür der Personalabteilung der Hochschule oder Forschungseinrichtung abhängen. Der Bundestag muss das Gesetz nachbessern", verlangt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller.

Die Länder müssten die "Ermöglichungsnovelle" aber auch anwenden, mahnt der Hochschulverband

Dass die Bedenken der Gewerkschaft nicht ganz unbegründet sind, lässt sich aus einer Stellungnahme des Hochschulverbands (DHV) herauslesen. Dieser begrüßt einerseits, dass befristete Wissenschaftlerverträge um ein halbes Jahr ausgedehnt werden können, wenn sich ein Forschungsprojekt aufgrund der Ausnahmesituation verzögert. Andererseits betont DHV-Präsident Bernhard Kempen, dass allein durch die Gesetzesänderung noch kein befristeter Vertrag verlängert werde. Vielmehr bedürfe es der konkreten Umsetzung im Einzelfall. Die Bundesländer stünden nun in der Verantwortung, Karliczeks "Ermöglichungsnovelle" zugunsten betroffener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch wirklich anzuwenden.

Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft, das sich wegen der auch ohne Corona oft prekären Beschäftigungsbedingungen wissenschaftlicher Mitarbeiter an Hochschulen gegründet hat, können solche losen Optionen nicht zufriedenstellen. Es fordert, alle befristeten Verträge, Stipendien und Bewährungszeiten vor Lebenszeitprofessuren "um die Dauer des Ausnahmezustands" zu verlängern. Zudem müssten zugesagte Lehraufträge und sonstige Honorarvereinbarungen für das kommende Semester ausgezahlt und bereits zugesagte Arbeitsverträge verlässlich ausgefertigt werden. Darüber hinaus dringt das Netzwerk darauf, die erhöhte Arbeitszeit anzuerkennen, die Mitarbeitern in der Krise dadurch entsteht, dass sie die Lehre auf digitale Angebote umstellen müssen. "Angesichts der Corona-Pandemie gilt es einmal mehr, nicht die Wettbewerbslogik fortzuführen, sondern den Wissenschaftsbetrieb im Sinne von Solidarität, guter Arbeit und kooperativer Erkenntnisproduktion zu gestalten", mahnt die Initiative in einer Stellungnahme.

Die Vielzahl der Reaktionen auf Anja Karliczeks Ankündigungen als Wunschkonzert abzutun, wäre übereilt. Da die Ministerin in den letzten Wochen, wenn auch nur im Detail, bereits Nachbesserungen an ihren Hilfsplänen vorgenommen hat, ist dies auch für die nächsten Wochen nicht auszuschließen. "Das aktuelle Paket ergänzt unsere bereits unternommenen Schritte," erklärt Karliczek am Mittwoch im Pressezentrum ihres Ministeriums. Noch vielversprechender ist aber der Satz, den sie direkt davor sagt: "Wir schauen kontinuierlich, ob zusätzliche Anpassungen erforderlich sind." Sehr wahrscheinlich, dass sie daran noch oft erinnert wird. Die passenden Worte dafür hat bereits der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, André Alt, formuliert: Man könne die vielen Betroffenen nicht sich selbst überlassen, "sie müssen schließlich weiter wohnen und essen."

© SZ vom 09.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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