Dieser Spruch, warum noch dieser Spruch? Der britische Grenzpolizist war mit der Prozedur schon durch. Er hatte Stephanie Forkel nach ihrem Pass gefragt, hatte ihr Auto und Kennzeichen überprüft. Britischer Pass, britisches Kennzeichen, alles echt. Ihr Englisch aber ist nicht akzentfrei. Forkel erklärte ihm, sie habe sich einbürgern lassen, sie ist Deutsch-Britin. "Heutzutage lassen die auch jeden ins Land", sagte der Grenzpolizist.
So erzählt es Stephanie Forkel, sie forscht und lehrt am King's College London zur Behandlung von Schlaganfall- und Krebspatienten. "Die Stimmung hat sich sehr gewandelt nach dem Brexit-Referendum", sagt sie. "Man fühlt sich nicht mehr willkommen als Ausländer", sagt Rainer Klages, auch er forscht und unterrichtet in London, an der Queen-Mary-Universität. Seit Mai arbeitet er für ein halbes Jahr als Gastprofessor an der TU Berlin. Dann aber, sagt der Mathematiker und Physiker, müsse er wieder zurück.
Der Brexit könnte den Zugang zu Forschungsmilliarden kappen
Die Temperatur des Mitmenschlichen ist nur ein Problem, das der Brexit der britischen Wissenschaft bereitet. Denn eine Scheidung ohne Vertrag, wie der neue Premier Boris Johnson sie für Ende Oktober ansteuert, hätte für die Wissenschaftler auf der Insel gravierende Folgen. Bei einem harten Brexit wird der Zugang versperrt zu milliardenschweren Förderquellen der EU für Forscher und deren länderübergreifende Projekte. Großbritannien könnte mehr als eine Milliarde Pfund Fördergeld verlieren, insbesondere im EU-Programm Horizon 2020 und dem Nachfolgeprogramm Horizon Europe. Hinzu kommt die Unsicherheit für die Forscher selbst, viele kommen aus dem Ausland, jeder sechste Mitarbeiter an Hochschulen und Forschungsinstituten kommt aus anderen EU-Ländern. Dürfen sie bleiben? Wird es eine aufwendige, gar demütigende Visaprozedur geben?
Wie stark der Brexit-Kurs die Forscher aufbringt, ist auch Johnson nicht ganz entgangen. Vergangenen Donnerstag fuhr er eigens in eine Forschungsanlage bei Oxford, um große Rettungspläne vorzustellen, seine "Vision, das Vereinigte Königreich als Supermacht der Wissenschaft zu festigen". Es werde vereinfachte Visa-Regeln für die klügsten und besten Forscher geben, sagte Johnson, britische EU-Förderanträge, die durch den Brexit Makulatur werden, sollen automatisch von heimischen Fördereinrichtungen übernommen werden. Großbritannien habe eine "stolze Geschichte an Innovationen", die Wissenschaftsgemeinde habe nun eine "riesige Entwicklungsmöglichkeit".
Das alles klingt dick aufgetragen, richtig aber ist: Die Forschungsinstitute und Universitäten zählen zu den großen Stärken des Landes, Oxford und Cambridge genießen immer noch Weltruf, Briten forschen in etlichen Disziplinen an der Weltspitze mit. Für Dozenten und Studierende stehen vielerorts Bibliotheken und Hörsäle bereit, die an die wunderbare Welt der Harry-Potter-Filme erinnern (einzelne Szenen wurden in Oxford gedreht). Und in denen weltweit vernetzte Professoren luxuriös kleine Gruppen von Studierenden betreuen. Der Brexit aber, insbesondere einer ohne Vertrag, droht nicht nur den Handel mit der EU, die Londoner Großbanken und den Friedensprozess in Nordirland zu beschädigen, sondern auch die Wissenschaft auf der Insel. Und das trotz der Versprechen von Boris Johnson.
Johnson bei seinem Besuch im Forschungszentrum: Großbritannien werde eine "Supermacht der Wissenschaft".
(Foto: REUTERS)Davon sind jedenfalls führende Forscher überzeugt. "Der größte Teil unserer Gemeinschaftsprojekte findet mit EU-Partnern statt. Bessere Visa-Regeln an sich werden die Brüche, die ein harter Brexit in der Wissenschaft verursacht, nicht ausgleichen", sagte Venki Ramakrishnan der Süddeutschen Zeitung. Der Nobelpreisträger in Chemie ist Präsident der Royal Society, einer der großen britischen Wissenschaftsorganisationen. Andere Forscher ließen ihren Frust noch deutlicher durchblicken. "Wissenschaftler sind keine Idioten", sagte der Physikprofessor Andre Geim mit Blick auf die Regierungspläne der Times. "Sie wissen, dass Unruhe für viele Jahre unabwendbar sein wird." In seiner Rede hatte Johnson ausgerechnet den Nobelpreisträger Geim zuvor als Beispiel für britische Stärke und Weltklasseforschung angeführt. "Der Nutzen, an den europäischen Programmen teilzuhaben, geht weit über das Geld hinaus", sagte der Biochemiker Paul Nurse, auch er ein Nobelpreisträger.