Bildung:Studie zu Kitas: Tausende zusätzliche Erzieher nötig

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In rheinland-pfälzischen Kitas fehlen nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung knapp 5000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher. Die Betreuungssituation...

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Mainz/Gütersloh (dpa/lrs) - In rheinland-pfälzischen Kitas fehlen nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung knapp 5000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher. Die Betreuungssituation bringe für das Personal in den Einrichtungen „hohe Arbeitsbelastung“ mit sich, befand die Stiftung mit Sitz in Gütersloh am Donnerstag. Sie konstatierte auch, dass zwischen Westerwald und Pfalz das Betreuungsverhältnis besonders stark regional voneinander abweiche.

In der Landespolitik werteten sowohl Regierung als auch Opposition die Zahlen als Beleg für die Richtigkeit ihrer Position. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte: „Das Ländermonitoring der Bertelsmann Stiftung zeigt ganz eindeutig, dass wir mit dem Kita-Zukunftsgesetz die richtigen Schritte gehen.“

Dieses Gesetz war Ende August vom Landtag in Mainz nach monatelangen kontroversen Debatten mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von SPD, FDP und Grünen verabschiedet worden. Es war die erste umfassende Neufassung des Kita-Gesetzes seit 28 Jahren, in Kraft tritt sie am 1. Juli 2021. Grob gesagt wird mit dem Gesetz die Berechnung der Personalausstattung auf eine neue Grundlage gestellt. Es garantiert außerdem eine siebenstündige Betreuung am Tag und erhöht den Personalschlüssel um rund zehn Prozent.

Der parlamentarische Geschäftsführer der oppositionellen CDU-Fraktion, Martin Brandl argumentierte, die Kita-Novelle verbessere die Situation nicht - im Gegenteil. „Gerade der Rechtsanspruch auf eine durchgängige Sieben-Stunden-Betreuung wird deutlichen Mehraufwand in den Kitas mit sich bringen.“ Erzieherinnen hätten damit weniger Zeit als bislang zur Betreuung der Kinder.

Die Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass in Krippengruppen maximal 3 und in Kindergartengruppen höchstens 7,5 Kinder gleichzeitig von einer pädagogischen Vollzeit-Fachkraft betreut werden sollten. Dem am Donnerstag veröffentlichten Ländermonitor zur frühkindlichen Bildung zufolge lag der Betreuungsschlüssel in Rheinland-Pfalz zum Stichtag 1. März 2018 jedoch bei 8,6 in Kindergartengruppen und bei 3,7 in Krippengruppen.

Im Land gebe es regional ein großes Gefälle, befand die Stiftung. So betreue eine Erzieherin oder ein Erzieher in Kindergartengruppen in Neustadt an der Weinstraße rechnerisch 11,4 Kinder und damit deutlich mehr als etwa eine Kollegin oder ein Kollege im Landkreis Germersheim, wo der Schlüssel bei 1 zu 6,5 liege. Bundesweit betrachtet sei das sogar die größte Spannweite.

Insgesamt habe sich die Zahl des pädagogischen Personals in Kitas zwischen 2008 und 2018 von rund 21 700 auf gut 30 600 erhöht. Im selben Zeitraum stieg aber auch die Zahl der dort betreuten Kinder - von etwa 134 000 auf mehr als 151 400. Kathrin Bock-Famulla, Bildungsexpertin der Bertelsmann-Stiftung, sagte: „Der zusätzliche Personalbedarf in Rheinland-Pfalz ist immer noch hoch, die Personalschlüssel haben sich in Kindergartengruppen zwar verbessert, sind aber noch nicht kindgerecht.“

Das Ministerium verwies darauf, dass mit dem Kita-Zukunftsgesetz zu den 700 Millionen Euro, die das Land ohnehin jedes Jahr investiere, 80 weitere Millionen flössen. Das entspreche einem Gegenwert von bis zu 3000 Stellen. Um genügend Personal zu haben, werde auch viel für die Ausbildung getan. So hat sich laut Ministerium an den Fachschulen Sozialpädagogik die Zahl der Ausbildungsplätze von 2960 im Schuljahr 2007/2008 auf 5560 im Schuljahr 2018/19 erhöht.

Ministerin Hubig betonte: „Wir haben im Bundesschnitt schon einen sehr guten Personalschlüssel, allerdings ist unsere Kita-Landschaft noch sehr heterogen.“ Das neue Kita-Gesetz werde dafür sorgen, dass es künftig überall in Rheinland-Pfalz sehr gute Personalstandards geben könne. Außerdem gebe es erstmals verbindlich festgeschriebene Zeiten für die Leitung von Kitas und die Anleitung von Auszubildenden. „Damit verschaffen wir den Erzieherinnen und Erziehern mehr Raum für ihre wertvolle pädagogische Arbeit.“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnte an, dass trotz „geringfügiger Verbesserungen“ in den vergangenen Jahren nach wie vor überall in Deutschland gut ausgebildetes Personal fehle. „Der Fachkraft-Kind-Schlüssel ist fast überall noch weit davon entfernt, was die Wissenschaft für pädagogisch notwendig erachtet“, sagte Björn Köhler, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe. „Die langjährige Personalnot in den Kitas kratzt am Image des Berufs der Erzieherinnen und Erzieher.“ Nur mit guten Arbeitsbedingungen seien mehr Menschen für dieses so wichtige Arbeitsfeld zu gewinnen.

Mit Blick auf die weitere Entwicklung in Rheinland-Pfalz zeigte sich der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, skeptischer als Ministerin Hubig: „Beim weiteren Ausbau müssen kindgerechte Personalschlüssel in allen Regionen Rheinland-Pfalz erreicht werden.“ Es bleibe abzuwarten, ob die Gesetzesnovelle das Qualitätsgefälle im Land reduzieren werde.

Dräger sagte auch, die Personalausstattung müsse in jeder Betreuungsform kindgerecht sein. „So darf der Besuch von Gruppen mit älteren Kindern die Bildungschancen der Jüngsten nicht verschlechtern.“ Das griff die Gewerkschaft Verdi auf. Dem sei uneingeschränkt zuzustimmen. „Insbesondere bezogen auf die Zweijährigen gibt es noch viel zu tun“, kritisierte der Landesfachbereichsleiter Gemeinden, Volker Euskirchen. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs für Zweijährige habe Rheinland-Pfalz auf das Modell der für Zweijährige geöffneten Regelgruppen in Kitas gesetzt. Es seien bis zu sechs Zweijährige in diese Gruppen aufgenommen worden, dafür habe es dann etwas mehr Personal gegeben. „Der Personalzuwachs hatte aber nie dem Aufgabenzuwachs entsprochen.“

Unabhängig von der Bertelsmann-Stiftung legte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag Zahlen vor, wie viele Kleinkinder außer Haus betreut werden. Demnach besuchten in ganz Deutschland am 1. März 2019 34,3 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kita oder eine Tagesmutter. Der rheinland-pfälzische Wert lag mit 31,3 Prozent unter dem Bundesschnitt, aber über dem Schnitt der westdeutschen Länder von 30,3 Prozent.

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