Bildung - Merzig:Weiterbildung trotz oder wegen Corona: Frauen profitieren

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Eine Teilnehmerin programmiert während eines Computer-Kurses. Foto: Britta Pedersen/zb/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Mainz/Merzig (dpa/lrs) - Für Ulrike Pflug war die Corona-Pandemie bisher ein "Segen", so beschreibt es die 49-Jährige selbst. "Ich hatte endlich die Chance, mich dahin zu entwickeln, wo ich schon lange hin wollte." Von Januar bis April hat Pflug Weiterbildungen im Projekt- und Qualitätsmanagement sowie zur zertifizierten IT-Projektleiterin beim Bildungsanbieter GFN abgeschlossen. Alles online, versteht sich.

Pflug kommt aus Rettershain. Die Ortsgemeinde im Rhein-Lahn-Kreis liegt mitten zwischen Koblenz und Wiesbaden, für Pflug wären das in beide Richtungen je 45 Minuten Fahrt, hätte sie sich mit einem Kurs vor Ort weiterbilden wollen. "Für mich war es optimal, zuhause zu lernen, weil ich mir täglich eineinhalb Stunden Fahrtzeit gespart habe", sagt Pflug. Zudem sei das Lernen in der Form zwar immer noch anstrengend, aber weitaus weniger stressig gewesen.

Generell scheint die Bereitschaft, sich weiterzubilden und damit beruflich neu zu orientieren durch die Corona-Pandemie gestiegen zu sein. So sieht etwa der Verband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz e.V. an einigen Standorten ein erhöhtes Interesse am Nachholen von Schulabschlüssen. "Das hat auch damit zu tun, dass nun diejenigen zuerst ihren Job verlieren, die einfache Arbeiten verrichten", erklärt Monika Nickels, Leiterin der Kreisvolkshochschule Mainz-Bingen.

Viele, darunter zahlreiche junge Frauen, erlebten jetzt, dass sie ohne Schulabschluss und Berufsausbildung keine Perspektive hätten. Die Kurse, die im September beginnen sollen, seien bereits ausgebucht, weitere in Planung. Sie fänden in kleinen Gruppen mit zehn statt 20 Personen im Raum statt.

Dazu komme eine gestiegene Nachfrage nach der Bildungsprämie, einer finanziellen Unterstützung des Bundesbildungsministeriums für Menschen mit kleinem Einkommen. "Wir haben jetzt schon so viele Prämiengutscheine ausgegeben wie von Januar bis Oktober 2020", führt Nickels aus. Davon profitierten diejenigen, die sich sprachlich weiterentwickeln wollten oder bei den digitalen Schlüsselkompetenzen noch Nachholbedarf sähen.

Auch der Bildungsanbieter GFN, bei dem Pflug ihre Kurse belegt hat, verzeichnet großes Interesse an Weiterbildungen und eine zunehmende Offenheit gegenüber Online-Angeboten. Insbesondere Frauen aus ländlichen Gebieten mit niedrigem Einkommen, die nicht mobil sind, profitieren von den neuen Formaten, wie Michaela Ortega-Dax, Standortleiterin des Trainingscenters in Merzig (Merzig-Wadern) im Saarland erläutert. "Je nachdem, wo man wohnt, ist man hier zwei Stunden mit dem Bus unterwegs, vielleicht haben die Frauen noch Kinder oder sind alleinerziehend." In so einer Situation sei es undenkbar, an einem Coaching oder gar einer Weiterbildung teilzunehmen.

Einige der Frauen seien durch das Homeschooling ihrer Kinder darauf gestoßen, sich beispielsweise mit neue Software oder Computer-Basiswissen auseinanderzusetzen oder ihr Wissen zu erneuern. Das zeige sich auch in den Kursen: In den ersten vier Monaten dieses Jahres lag der Frauenanteil in Coaching-Kursen Ortega-Dax zufolge bei 62 Prozent, 2020 waren es im ganzen Jahr 22 Prozent.

Die Landtagsabgeordnete Katrin Rehak-Nitsche zeichnet ein etwas differenzierteres Bild. "Gerade Akademiker nutzen die momentane Situation und nehmen digitale Angebote wahr", sagt die weiterbildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Aber auch Arbeitnehmer, die in Branchen arbeiteten, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen seien, orientierten sich beruflich neu. Integrationskurse oder Kurse zum Nachholen von Schulabschlüssen ließen sich dagegen digital nur sehr schwer umsetzen.

Eine Erfahrung, die Nickels in Bezug auf Schulabschlüsse bestätigt. "Wir beginnen immer damit, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen lernen, wie man online arbeitet, um gerüstet zu sein, falls es wieder notwendig ist", erklärt sie. Eine Mitarbeiterin könne angerufen werden, falls etwas technisch nicht funktioniere. Ein Einstufungstest sei mittlerweile Pflicht, um die vorhandenen Kompetenzen festzustellen. Und nicht jeder und jede habe zuhause das notwendige Equipment: "Wir müssen in manchen Bereichen den Menschen Endgeräte zur Verfügung stellen, weil sie sonst nicht teilnehmen können", sagt Nickels. Ein Großteil der Teilnehmenden gehe auch online mit, aber 20 Prozent blieben auf der Strecke.

Nach Rehak-Nitsches Einschätzung ziehen sich Personen mit niedriger Bildung eher zurück. "Wahrscheinlich liegt es neben fehlendem Raum und technischer Infrastruktur auch daran, dass sie eher persönlich und individuell unterstützt werden müssen, um eine Vertrauensbasis zu schaffen", meint die Politikerin. Das sei online nicht möglich.

Für Pflug hat sich die Weiterbildung jetzt schon gelohnt. Sie hat ihren neuen Vollzeit-Job bei einem IT-Dienstleister gefunden. Ab Mai wird sie sich für das Land Hessen um die Digitalisierung von Schulen kümmern. Und sie will weitermachen. "Das ist jetzt der Wiedereinstieg nach meiner Zeit, in der ich mich um die Familie gekümmert habe", sagt die Mutter eines Sohnes. Langfristig strebe sie jedoch nach einer Führungsposition.

© dpa-infocom, dpa:210505-99-470940/4

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