Bildung:Deutschland gehen die Lehrer aus

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Kein Unterricht: In Deutschland fallen schon heute viele Unterrichtsstunden aus, weil Ausfälle bei Lehrern nicht ersetzt werden können. (Foto: dpa)
  • Im Jahr 2025 sollen nach Angaben einer neuen Studie 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche auf allgemeinbildende Schulen in Deutschland gehen.
  • Grund für die gestiegenen Schülerzahlen ist vorrangig die "dynamische Geburtenentwicklung".
  • Auf die Länder kommen Milliardeninvestitionen zu - und die Lehrer fehlen.

Von Paul Munzinger, München

Not macht erfinderisch, das gilt besonders für Berlin. Seit Jahren versucht die Hauptstadt, die dringend benötigten Lehrer anzulocken, sie hat dafür sogar in Österreich und den Niederlanden Kampagnen gestartet. Aktuell umwirbt Berlin Pädagogen etwa aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit lustigen Sprüchen: "Du hast unseren Kindern gerade noch gefehlt!" oder "Mach ma hinne - bewirb' dich schnell".

Der Bedarf ist riesig: Für geschätzt 70 000 zusätzliche Schüler bis zum Schuljahr 2024/25 braucht Berlin 14 000 neue Lehrer. "Dramatisch" sei der Lehrermangel, sagt Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), und damit meint sie nicht nur Berlin, sondern Deutschland insgesamt.

Hält der Anstieg an, müssten sich die Länder auf Investitionen in Milliardenhöhe einstellen

Einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge dürfte sich die ohnehin angespannte Lage auf dem Lehrermarkt in den kommenden Jahren in bisher ungeahntem Ausmaß verschärfen. Die Forscher prognostizieren einen "Schüler-Boom". Ihre Zahl werde deutlich stärker steigen, als bislang angenommen.

Im Jahr 2025 werden demnach 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche auf allgemeinbildende Schulen gehen - und damit mehr als eine Million mehr, als es die aktuelle Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 2013 vorhersagt. Bis ins Jahr 2030 soll der Anstieg anhalten. Die Folge: Die Länder müssten sich auf Milliardeninvestitionen einstellen. Bis zum Jahr 2025 würden allein an Grundschulen 24 000 neue Lehrer benötigt. Auch beim Schulbau gelte es, eine "deutliche Trendwende einzuleiten".

Die Gründe für den Anstieg der Schülerzahlen sehen Klaus Klemm und Dirk Zorn, die Autoren der Studie, einerseits im gestiegenen Zuzug nach Deutschland, wobei die Flüchtlinge nur einen vergleichsweise kleinen Teil ausmachten. Vorrangig aber, sagt Zorn, ergebe sich der Anstieg aus der "dynamischen Geburtenentwicklung". Seit wenigen Jahren steigt die Geburtenziffer wieder, zwar nur leicht, aber offenbar mit weitreichenden Folgen: "Ich war zunächst selbst überrascht, dass eine scheinbar marginale Veränderung bei der Geburtenrate sich so stark auf die Zahl der Schüler auswirkt", sagt Zorn.

Lehrer werden pensioniert, von den Unis kommen zu wenige neue nach

Der zu erwartende Anstieg der Schülerzahlen treffe das Schulsystem weitgehend unvorbereitet, heißt es in der Studie. Die Länder weisen diese Einschätzung zurück. Die KMK betont, die Prognosen zu Schülerzahlen und, daraus resultierend, zum Lehrerbedarf würden derzeit aktualisiert. Sie lägen aber gerade wegen des so nicht erwarteten Anstiegs erst 2018 vor und nicht, wie geplant, schon in diesem Sommer. Auch aus dem bayerischen Kultusministerium heißt es, die Studie beschreibe "aktuelle, aber nicht gänzlich neue Trends", auf die man sich anhand eigener Prognosen bereits seit 2014 einstelle.

Das Bildungsministerium in Baden-Württemberg kam bereits vor der Veröffentlichung der Studie zu dem Schluss, dass die Entwicklung der Schülerzahlen in der Vergangenheit falsch eingeschätzt worden sei. Statt des erwarteten Rückgangs sei im laufenden Schuljahr ein Anstieg der Schülerzahlen zu verzeichnen, besonders bei den Grundschulen. Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) will am Freitag Maßnahmen gegen den Lehrermangel vorstellen. "Die Landesregierungen merken, dass sich die Situation katastrophal darstellt", sagt Gewerkschafterin Tepe.

SZ-Grafik; Quelle: Kultusministerkonferenz 2013, Bertelsmann-Stiftung 2017; Credit: *Allgemeinbildende Schulen ohne Förderschulen und Schulen des zweiten Bildungswegs (Foto: N/A)

Für den Lehrermangel gebe es viele Gründe. Integration und Inklusion erforderten mehr Personal, doch viele Lehrer würden aktuell pensioniert, von den Universitäten kämen zu wenig neue nach. Dies gelte besonders für den Osten Deutschlands, wo infolge des massiven Geburtenrückgangs nach der Wende die Ausbildungskapazitäten abgebaut worden seien - mit der Folge, dass sich besonders dort nicht genügend Bewerber finden. Nach Angaben der GEW wird etwa in Sachsen jede zweite Stelle für das kommende Schuljahr mit einem Seiteneinsteiger besetzt - also nicht mit einem ausgebildeten Lehrer.

Gymnasiallehrer sollen an Grundschulen lehren

Tepes zentrale Forderung lautet: Der Lehrerberuf, der "lange Zeit schlechtgeredet worden" sei, müsse wieder attraktiver werden. Das gelte vor allem für Grundschullehrer, an welchen es besonders mangele. Schon seit Langem fordert die GEW, Grundschullehrer besser zu bezahlen. Zudem setzt sie sich dafür ein, die Lehrerausbildung flexibler zu gestalten, etwa indem erst im Masterstudium die Spezialisierung auf Grundschule oder Gymnasium erfolge.

In der Praxis findet diese Flexibilisierung längst statt. Baden-Württemberg plant, wie andere Bundesländer auch, Gymnasiallehrer an Grundschulen einzustellen. Das Ministerium spricht von einer Win-win-Situation - denn bei Gymnasiallehrern gebe es deutlich mehr Bewerber als Stellen.

Das Schulsystem müsse flexibler werden, "atmender", das fordert auch Forscher Dirk Zorn. Es müsse in die Lage versetzt werden, sich demografischen Veränderungen schneller anzupassen - egal, ob die Schülerzahlen steigen oder sinken. Denn der aktuelle Trend, auch das geht aus der Studie hervor, kann sich schon bald wieder umkehren: Von 2027 an, erwarten die Forscher, wird die Zahl der Grundschüler wieder fallen.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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