Wer dieser Tage in Berlin unterwegs ist, beobachtet immer wieder Szenen wie diese: Kinder sitzen auf einer Wiese im Park, im Gras liegen Schulranzen. Jugendliche gehen mit ihren Lehrern über einen Ziegenhof, Schülerinnen und Schüler packen im Wald ihre Federmäppchen aus. Handelt es sich um Wald-Schulen, alternative Pädagogik oder neue Unterrichtsmethoden? Nein, das sind Kinder, die derzeit ihre Schulräume nicht betreten können. Weil das entweder nicht möglich, gefährlich oder gesundheitsschädlich ist.
Viele Berliner Schulen wurden über die Sommerferien renoviert. Das heißt: Sie sollten renoviert werden. Denn als am Montag die Schule wieder begann, fanden viele Schüler und Lehrer Gebäude in einem Zustand vor, der ungefähr mit dem des Hauptstadt-Flughafens vergleichbar ist. Kabel hingen von den Decken, Putz rieselte von Wänden, Presslufthämmer lärmten, in den Fluren stapelte sich der Bauschutt. In einer Schule stehen noch Bagger und Bauzäune im Pausenhof, an einer anderen haben Schleifarbeiten auf den Möbeln eine dicke Staubschicht hinterlassen. In manchen Gebäuden gibt es keine Möbel, in anderen keinen Strom. Die Kinder und Jugendlichen der betroffenen Schulen verbrachten ihre erste Schulwoche daher auf Wandertagen, in Parks oder im Wald.

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Wie viele Schulen genau betroffen sind, ist noch unklar. Fest steht, dass man in Berlin beim Thema Schule schon lange Kummer gewöhnt ist. Von den 800 Schulen, die es in der Hauptstadt gibt, ist etwa die Hälfte so baufällig, dass man in Berlin nur mehr von "einstürzenden Altbauten" spricht. Da hängen Deckenplatten herab, wachsen Pflanzen durch die Fassade mitten ins Klassenzimmer, sind Fenster so undicht, dass man im Winter nicht in der Nähe sitzen kann. In Altbauten mussten Aulen wegen akuter Einsturzgefahr geschlossen werden, neue Gebäude sind manchmal so fehlerhaft gebaut, dass es schon am Tag der Eröffnungsfeier hineinregnete.
Eine der Ursachen für die Misere sind Berlins Altlasten. Die Hauptstadt stand lange Zeit kurz vor der Pleite und musste über Jahre sparen, wo es ging, selbst an den Dächern und Toiletten von Schulen. Inzwischen boomt die Hauptstadt zwar und die Einnahmen sprudeln, der rot-rot-grüne Berliner Senat hat eine Schulbauoffensive angekündigt und will in den kommenden zehn Jahren 5,5 Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulen stecken. Allein in diesen Sommerferien sollten 185 Millionen Euro investiert werden.
Doch das Geld auszugeben ist gar nicht so einfach. Bauvorhaben müssen ausgeschrieben werden, die Baufirmen und Handwerker der Hauptstadt sind wie überall ausgelastet, auf manche europaweite Ausschreibung bewirbt sich keine einzige Firma. Arbeiten bleiben liegen und werden erst gar nicht begonnen, dazu kommt, dass für Bildung und Schule das Land Berlin zuständig ist, sich um die Gebäude aber die einzelnen Bezirke kümmern müssen. Die unterschiedlichen Verwaltungen kommen nur schwer zusammen, die Bezirke sind mit großen Bauvorhaben nicht selten überfordert. Und so wurde während der Sommerferien zwar an 280 Schulen renoviert und gebaut, aber nicht überall liefen die Sanierungsmaßnahmen wie geplant. Ob der Unterricht in der kommenden Woche regulär stattfinden kann, ist an den betroffenen Schulen ungewiss.
Die Schulen versuchen nun, sich mit Provisorien zu helfen. Die einen stellen Container in ihren Höfen auf, um sie als Klassenzimmer zu verwenden, an anderen Schulen tüftelt die Lehrerschaft Ersatzstundenpläne aus und geht mit den Kindern ins Museum oder in die Bibliothek. Die Direktorin einer Schule im Berliner Westen ersuchte ihre Schüler, "sich im Leisesein zu üben, denn durch die Entfernung der Deckenplatten ist ein Schall wie auf einer Bahnhofshalle", und wie so oft in Berlin packen die Leute nun eben selbst an. Eltern organisieren sich zu Putztrupps und räumen den Baustaub weg, an einer Schule in Reinickendorf entrümpeln Lehrer und Schüler den Schulhof, schneiden Hecken und mähen den Rasen.
Während die Berliner Verwaltung nun so schnell wie möglich Abhilfe schaffen und die Bauvorhaben vorantreiben will, kommt Kritik aus den Elterngremien und aus der politischen Opposition, Schulleiter sprechen von "unhaltbaren Zuständen".
Aber es gibt nicht nur negative Stimmen. Für viele Schülerinnen und Schüler der betroffenen Schulen könnte es auch in den kommenden Wochen gerne so weitergehen mit Ausflügen in den Park, Wald oder auf den Ziegenhof.